Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

Rot geworden, ohne rot zu werden

Beitrag von Mathis Oberhof, geschrieben am 01.04.2011

Der Münchner Journalist Tobias Haberl trat in die LINKE ein, um sie kennen zu lernen, schrieb einen Essay und ein Buch, und trat nach 1 ½ Jahren wieder aus. Er hat positives Feedback bekommen, zum Beispiel von André Brie: „Ich habe durch dieses Buch viel gelernt – ein ungewöhnlich gutes Buch.“ Die Menschen aus seinem Ortsverband hatten größere Probleme mit ihm. Manche haben mit ihm gebrochen, sehen ihn als Verräter, andere blieben mit ihm in Kontakt.

Der Luchterhand-Literaturverlag vermarktet Haberls Buch mit dem Untertitel: „Bürgersohn trifft dogmatische Linke“. Dem Text vorangestellt hat er ein Zitat des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein: „Mit Extremisten muss man anders umgehen. Von denen nimmt man kein Stück Brot.“ Diese Verteufelung der anderen Parteien gegenüber der LINKEN, sagt er, sei es vor allem gewesen, die ihn auf die Idee gebracht hat, selbst zu prüfen, was sich hinter dem „Kadergeschwader“, den „Dämonen“ und „Ewiggestrigen“ verbirgt. Als Sohn einer gut situierten Familie, der keine Angst haben muss, in Hartz IV zu rutschen, habe ihn interessiert, wie die Anti-Hartz-IV-Partei funktioniere und ob ihre Mitglieder nur aus einer Empörung und Opferhaltung heraus links sind oder weil sie einen demokratischen Sozialismus wirklich für das gerechtere System halten.

Was ihn während seiner Mitgliedschaft am meisten überrascht hat? „Ich habe eine Partei der Hartz-IV-Empfänger erwartet, eine Partei von Opfern, die links sind, weil sie nicht gewonnen haben, die aber umfallen, sobald man ihnen ein Stückchen Macht in die Hände gibt. Und genau solche Menschen habe ich auch kennen gelernt. Aber ich habe auch viele hochsympathische, kluge, reflektierte und intellektuelle Menschen kennen gelernt; Menschen, mit denen man diskutieren kann, die zuhören, ausreden lassen und Bezug nehmen auf zuletzt Gesagtes. In guten Momenten war die Gesprächskultur auf höherem Niveau als in meiner Redaktion, in schlechten lag sie aber auch weit darunter.“

In seinem Buch zeichnet Haberl liebevoll Charaktere und Biografien von Menschen nach, mit denen er ohne sein „Experiment“ niemals zusammengetroffen wäre, zum Beispiel Henning, einen ehemaligen Redakteur der Frankfurter Rundschau, der irgendwann nicht über Afrika berichten wollte, ohne dort zu leben. Der 1968 beim Vietnamkongress in Berlin dabei war und aus der SPD ausgetreten ist, als Helmut Schmidt die Raketenbeschlüsse durchsetzte. Fast wird Henning zu einer Art väterlichem Freund, der Haberl einführt in linkes Denken und linke Geschichte. An einer Stelle des Buches heißt es: „Henning hat mehr erlebt als Dirk Niebel, Ronald Pofalla und Andrea Nahles zusammen, das macht ihn nicht zu einem besseren Politiker, aber zu einem interessanteren Menschen .“

Oder Valerie, die spirituelle Linke, die Hippiefrau: „Mit ihrer Gleichgültigkeit gegenüber materiellen Dingen hat sie mich mehr ins Wanken gebracht als alle Reden von Lafontaine, Gysi und Ernst zusammen. Valerie geht davon aus, dass der Mensch gut ist. Wird sie enttäuscht, hält sie es für eine Ausnahme und geht weiter davon aus, dass der Mensch gut ist.“

Liebevoll lädt die über 60jährige das Neumitglied zu ayurvedischem Essen ein und Haberl bemerkt: „Sie lässt sich von der Wut auf eine ungerechte Welt nicht entstellen“. Er schwärmt: Sie ist einer der interessantesten Menschen, die ich je kennengelernt habe.

Die halbe Nacht mit Sarah

Und dann ist da noch „die halbe Nacht“ mit Sarah. Richtig, die von der Kommunistischen Plattform. Haberl interessiert sich für sie, fährt extra nach Berlin, um sie kennen zu lernen und – so privat wie möglich – zu befragen. In ihrem Bundestagsbüro für ein Paar Minuten -absichtsvoll? - allein gelassen, staunt er über das Bild der Jungfrau Maria neben dem Karl Marx-Porträt. Bei einem langen Abend im Café Einstein redet er mit ihr über Gefühle, Luxus und Shakespeare, ihre erste Reise nach New York: „Ich merke, dass ich wanke“, schreibt Haberl. „Meine Vorsätze knicken weg. Sie sieht gut aus, wie sie da so sitzt und redet, sie wirkt ehrlich, charmant. Eigentlich hat sie nur einen entscheidenden Fehler: Sie möchte mir mein Erbe nehmen. Das Geld, das mein Vater mit harter Arbeit verdient hat, damit meine Schwester und ich keine Sorgen haben müssen.“ Zurück im Hotel liest er die SMS seines besten Freundes: “Verliebt?“, macht sich der über ihn lustig. „Hmmm“, antwortet Haberl.

Und das ist ein Leitmotiv des Buches. Haberl ist ständig überrascht über die vielen interessanten Charaktere, die Selbstlosigkeit, das Wissen, die Vielfalt in dieser verfemten Partei. Aber die Feme hat auch Spuren hinterlassen, die er beklagt, und unter der er zum Schluss auch selbst leiden wird: „Es ist so wenig Optimismus in dieser Partei, soviel Ab- und Ausgrenzung. Ist man nicht bei der LINKEN, verweigert ihr die Stimme oder kritisiert ihre Absichten, gibt sie einem das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein, der auf der Seite der anderen, der Egoisten und selbstverliebten Bosse steht.“

Gefragt, was für ihn nach mit dem Begriff Sozialismus verbunden sei, antwortet Haberl: „Bevor ich bei der Linken war, hätte ich vielleicht gedacht: Geld den Reichen nehmen und den Armen geben. Heute würde ich vielleicht sagen: Eine gerechte Welt zu denken, die es noch nicht gibt. Ich halte es für eine Utopie, aber nicht für eine unsympathische.“ Woran es liege, dass die LINKE dennoch so wenig Ausstrahlung entwickelt? Seine Antwort wird manchen LINKEN nach dem Debakel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in den Ohren klingen: „Mir ist die Partei zu sehr auf Sozialpolitik ausgerichtet, zu wenig auf moderne Themen. Solche Themen wie Klimaschutz, Individualisierung, digitale Welt, Datenschutz. Da habe ich keine großen Debatten mitbekommen. Die Meinung, dass mit Sozialpolitik alle Probleme gelöst werden können, dass der „Kuchen nur gerechter verteilt werden muss, finde ich zu kurz gedacht.“

Willkommen und Abschied

Als er das erste Mal zur Mitgliederversammlung geht, verlässt er sie vorzeitig. Er hält es nicht mehr aus: „Um 22 Uhr war ich randvoll mit Zahlen, Daten und Informationen, ich fühlte mich plötzlich sehr einsam, verabschiedete mich und stahl mich aus dem Saal. Als ich auf dem Parkplatz war, senkte sich ein Freiheitsgefühl auf mich herab, das überwältigend war. Dieses Freiheitsgefühl breitete sich in den folgenden Monaten jedes Mal in meinem Körper aus, sobald ich meine Genossen verlassen hatte.“ Manche/r, die/der aus der Partei austritt, mag neben dem Trennungsschmerz genau dieses Gefühl der Erleichterung verspüren fühlen. Wer über Jahre oder noch länger sein Schicksal mit dem „der Partei“ verbunden hat, mag es längst vergessen haben.

Wenn Tobias Haberl mit Freunden zusammen sitzt, sagt er, dann reden sie über Fußball, Babynamen und Dachterrassen, über Kunst und das neue Buch von Michel Houellebecq, alles oberflächlichere Dinge als den Krieg in Afghanistan. Aber das gehört genauso zum Leben und zur Selbstverwirklichung. Solange bei LINKEN-Treffen in öden Räumen und langweiligen Tagesordnungen so wenig Platz bleibt für Schönes, Lustvolles, Witziges, so lange dürften Menschen wie Tobias Haberl bestenfalls für begrenzte Zeit Weggefährten der linken Bewegung bleiben.

Nach der Veröffentlichung seines Erfahrungsberichts im SZ-Magazin wendeten viele sich von ihm ab, sehen ihn als Verräter, als Spion der bürgerlichen Presse. Bei manchen schmerzt es ihn besonders, bei Henning oder dem Kreisvorsitzenden Michael Wendl. Ihn hat er in seinem Buch als klugen, freigeistigen, interessanten Referenten beschrieben; als dieser ihm vorwirft, anders als Wallraff habe er die Objekte der Beobachtung nicht mit Empathie, sondern aus der Position der Abgrenzung seziert, ist Haberl tief verletzt. Und notiert: „Es ist der schlimmste Brief, den ich je bekommen habe.“ Umso mehr überrascht die Antwort auf die Frage, wen er mit dem Satz: „Gewidmet den Guten – egal welcher Partei“ meint. Nach kurzem Überlegen sagt er: „Für die LINKE wäre das zum Beispiel Michael Wendl. Er ist eine interessante Person und nimmt eine schwierige, streitbare Rolle einnimmt. Trotzdem ist er jemand, dem ich gerne zugehört habe und mit dem ich mich identifizieren konnte, sehr eloquent, vernünftig und differenziert. Er hat einen aufgeklärten, keinen scherenschnittartigen Sozialismus vertreten.“

Tobias Haberl hat ein lehrreiches Buch geschrieben. Über die LINKE. … und über liebenswerte Linke.

Liberale LINKE sammeln sich

geschrieben am 01.04.2011

Eine „Liberale Plattform in und bei der Dresdner LINKEN“ hat sich gestern in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden gegründet. In ihrer Gründungserklärung verwies die Plattform auf den „in der LINKEN bislang ungehobenen Schatz des Linksliberalismus“ der dazu genutzt werden müsse, eine breitere Basis in der deutschen Wählerschaft zu gewinnen. Die sich historisch u.a. auf das Werk von Immanuel Kant beziehende Gruppe hat sich nach eigenem Bekunden als Reaktion auf die jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gegründet. „DIE LINKE wird in Deutschland zu Recht als „Kümmererpartei“ wahrgenommen“ heißt es in dem Papier weiter und man müsse nun, angesichts der bevorstehenden Auflösung der FDP genau diesem Ruf einmal mehr gerecht werden, indem man enttäuschten Liberalen das Angebot mache, bei der LINKEN eine neue politische Heimat zu finden. Außerdem wolle man vorsichtshalber, für den Fall, dass es genau andersherum komme, ein
en vorbeugenden Hilferuf an die FDP senden.

Unterschrieben ist das vierzehnseitige Gründungspapier vom Dresdner Kommunikationswissenschaftler Maximilian Kretzschmar, dem Ausdruckstänzer Tilo Kießling sowie dem Arbeiterdichter Uwe Schaarschmidt, der in der Vergangenheit schon häufiger durch recht liberale politische Ansichten innerparteilich aufgefallen war.
Grundsätzlich sei man für alle ehemaligen FDP-Mitglieder offen. „Alles kann – nichts muss!“ heißt es in dem Text. Ausgenommen davon seien allerdings „gelbe Umweltspinner, wie der momentane FDP-Generalsekretär Christian Lindner“ welchem von den Dresdner linksliberalen LINKEN vor allen Dingen sein „seit einigen Tagen gestörtes Verhältnis zur Atomkraft“ vorgeworfen wird, sowie eine namentlich nicht benannte Dresdner „Extremistin der Mitte“.

Öffentlich, so ist es dem Papier zu entnehmen, werde die Linksliberale Plattform, die unter dem selbst gewählten Kürzel „LiLiPlatt“ firmiert, erstmals zum Evangelischen Kirchentag in Dresden in Erscheinung treten. Unter dem Motto: „PROTHESEN GEGEN PROTESTANTEN – WIDER DAS GOTTLOSE TREIBEN DER CHRISTEN IN OSTDEUTSCHLAND!“ wird man zu Himmelfahrt eine interaktive Kunstaktion vor der Dresdner Kreuzkirche darbieten.

Während der Kunstaktion, in deren Rahmen u.a. zu imitiertem Fuchsgebell ein Becher Kaffee umgeworfen und zudem ordentlich Bier gesoffen werden soll, möchte man auch Geld zur Stiftung eines Günther-Verheugen-Preises sammeln.
Der Günther-Verheugen-Preis werde von „LiLiPlatt“ künftig alljährlich für das „eindrucksvollste Bekenntnis zur deutschen Arbeiterbewegung“ verliehen, so die Gründer der Plattform.

Interessenten können sich per E-Mail an die Gründer wenden: liliplatt@dielinke-dresden.de

Eine Konferenz des neuesten innerparteilichen Zusammenschlusses der Dresdner LINKEN findet unter dem Arbeitstitel „Klaren Kant gegen soziale Kälte und Rauchverbot“ demnächst im Haus der Begegnung, Großenhainer Straße 93 statt. Datum und Uhrzeit sollen rechtzeitig an ausgewählten Dresdner Litfaßsäulen angeschlagen werden.

Kein Schönreden.

Beitrag von Thomas Lohmeier und Jörg Schindler, geschrieben am 28.03.2011

Schlagworte:

atompolitik, energiewende, grundeinkommen, linke

Das war eine bittere Wahlniederlage für die LINKE, die man sich leicht schön reden kann, wie die anderen vier Wahlverlierer es auch tun: “Es war eine Abstimmung über die Atompolitik und wir kamen mit unseren Themen nicht durch”. Das Schöne an dieser Erklärung ist: Sie stimmt sogar.

Teilweise zumindest. Die Grünen als große Wahlgewinner hatten Glück. Nicht wegen des tragischen und schlimmen Unfalls in Japan, der ihnen zu diesem Wahlerfolg verhalf, sondern wegen der Vergesslichkeit der WählerInnen, die die Anti-Atom-Sonne ausschließlich mit den Grünen assoziieren. Schlicht vergessen haben sie dabei, wer den halbherzigen “Atomaustieg” zu verantworten hatte, den die schwarz-gelbe Regierung problemlos im vergangen Herbst wieder einkassieren konnte. Rot-Grün gewährte Restlaufzeiten, die viele Anti-Atom-AktivistInnen als Bestandsgarantien für die AKW bezeichneten, was dem grünen Image als Anti-Atom-Partei aber offenbar nicht schadete. Aber auch wenn man den Grünen ihren Wahlerfolg nicht gönnen mag - er hat auch etwas Gutes: Es war eine klare Abstimmung für den Ausstieg aus der Atomenergie. Schauen wir mal, wie der erste grüne Ministerpräsident jetzt seine Macht als Miteigentümer beim AKW-Betreiber EnBW nutzt.

Zurück zur LINKEN: Dennoch erklärt der GAU in Japan und die thematische Zuspitzung auf die Atompolitik die Wahlniederlagen der Linken in Baden-Württemberg nicht alleine. Die klassischen linken Themen der vergangenen Jahre folgten der Erzählung der antineoliberalen Protestpartei (“Hartz-IV-muss-weg”, Mindestlohn, Privatisierungstopp). Folglich wählte, wer gegen das neoliberale Parteienkartell protestieren wollte, links. Mindestlohn fordert heute auch die SPD und die Privatisierungswelle kam parteiübergreifend ins Stocken. Die Forderung “Hartz-IV-muss-weg” hört sich jedoch mittlerweile ohne die Antwort auf die Frage nach dem “Wie” wie die B-Seite von Westerwelles leiernder Schallplatte “Steuern senken” an und seit der Bankenkrise 2008 wissen alle - hartgesottenen FDP-Wähler vielleicht ausgenommen -, dass die neoliberale Politik eine Sackgasse ist.

Weil die Schallplatte leiert: Für eine neue Erzählung.

Mit der Bankenkrise im Herbst 2008 hat das postneoliberale Zeitalter begonnen. Sechs Jahre nach dem Ende von Rot-Grün und zwei Jahre nach dem Ende der Großen Koalition braucht DIE LINKE daher eine neue Erzählung mit neuen zentralen Forderungen. Weil die LINKE aber noch keine neue Geschichte erzählen kann, liest sie die alte weiter vor. Das ist der eigentliche Grund für ihr Wahldesaster. In Baden-Württemberg versuchte DIE LINKE in ihrer Not daher sogar das Argument zu spielen, dass nur ihr Einzug in den Landtag die Abwahl Mappus sichern würde. Dabei hat sie aber übersehen, dass WählerInnen, die Mappus weg haben wollen, gleich SPD oder Grüne wählen. DIE LINKE wählen die, die mehr als Rot-Grün pur wollen. Was dieses “Mehr” aber ist, muss man den WählerInnen erzählen. Wer nur den schwarzen Mann oder Frau verhindern will, braucht DIE LINKE nicht. Eine Erfahrung, die die alte PDS bereits bei der Bundestagswahl 2002 schmerzlich gemacht hat, als sie nicht wusste, wie sie mit dem “Friedenskanzler” Schröder umgehen soll. Sie muss nämlich immer auch erklären, warum man SPD und Grüne, als ihre unmittelbaren Konkurrenten, nicht wählen soll. Stoiber oder Mappus zu verhindern, ist leider kein Argument, SPD und Grüne nicht zu wählen.

Drittes Lager. Nicht rotgrüner Wahlverein.

Bei Wahlen werden immer auch Entscheidungen gegen andere Parteien getroffen. DIE LINKE muss deshalb realisieren, dass sie als DIE LINKE nicht einfach nur ein zielgruppenspezifischer Wahlverein für Rot-Grün ist, der die Aufgabe hat, dass kritische Bildungsmilieu und die Unterklasse als Speicherhaltebecken zu mobilisieren. Trotz vieler Schnittmengen ist sie nicht Teil des rot-grünen Lagers. Das sehen, wie die Reaktion von SPD und Grünen am Wahlabend zeigen, diese offenbar auch so. SPD und Grüne wollen und werden auf absehbare Zeit auf DIE LINKE als Mehrheitsbeschafferin verzichten, weil - schaut man hinter die Oberfläche ähnlich formulierter Forderungen - DIE LINKE weder innen- noch außenpolitisch, zudem auch geschichtlich-ideologisch, jedenfalls derzeit nicht Teil der Staatsräson ist. Die rot-grüne Positionierung im Libyen-Krieg verdeutlicht das nur exemplarisch.

Endlich mit dem Streit beginnen. Visionen erzählen.

Deshalb hätte eine scharfe Kritik an den Grünen und deren halbherzigem Atomausstieg sicherlich nicht geschadet. Auch eine Thematisierung der enormen Gewinne der EVUs durch die Atomlaufzeitverlängerung bei gleichzeitigen Sozialkürzungen von Schwarz-Gelb hätte der Atomdebatte eine eigene Note geben können. Aber die Linke, das zeigen diese Wahlen auch, braucht eine neue mobilisierungsfähige Erzählung. Eine Erzählung, die eine neue Vision ausstrahlt, die über die bestehenden Verhältnisse hinausweist, eine, für die Menschen sich engagieren, für die sie Leidenschaft entwickeln können.

sozial- und arbeitsmarktpolitisch: Endlich weg vom “Hartz IV muss weg”

Eine Erzählung, die vieles von dem vereint, liegt ohne parteipolitische Zuordnung verwaist herum: Die des existenzsichernden Einkommens als soziale Demokratiepauschale. Es steht für soziale Sicherheit und individuelle Lebensführung frei von Existenzängsten, verbunden mit einem Mindestlohn verhindert es Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen, weil niemand mehr gezwungen ist, schlecht bezahlte oder krankmachende Jobs anzunehmen. Die Möglichkeit, Auszeiten zu nehmen, sich zu bilden oder früher in Rente zu gehen, verkürzt die Lebensarbeitszeit des Einzelnen und kann mehr Menschen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse bringen. Sicher, ob hieraus ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen oder eine umfassende Reform der Arbeitslosen- und Sozialversicherung, die bedarfsorientiert alle von Armut und sozialem Abstieg bedrohten Menschen folgt, ist bei Sozialverbänden, den Gewerkschaften und auch in DER LINKEN strittig - selbst in Teilen zwischen den Autoren dieses Beitrags. Nichteinmal zu Unrecht. Denn beide Positionen beinhalten Schwierigkeiten und Fallstricke. Aber ein konstruktiver Streit darum, wie ein solches Grundeinkommen durch eine Umverteilung von Oben nach Unten finanziert werden kann, wie verhindert wird, dass es schlechtbezahle Kombilöhne Vorschub leistet, das wäre spannend. Das würde für viele Menschen, auch für die vielen bildungsbürgerlichen WählerInnen, die nun in Scharen zu den Grünen gelaufen sind, DIE LINKE attraktiv machen, weil es eine soziale Vision mit der einer emanzipierten, existenzgesicherten Bürgergesellschaft verbindet. Die LINKE hätte ein Projekt, dass nicht nur sozialpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch attraktiv wäre, eine Erzählung, die sowohl radikal und als auch konkret ist.

demokratisch, öffentlich, gesund, sozialistisch: die Energieversorgung

Es war zudem eine Illusion, sich als lediglich “konsequentere” Atom-Ausstiegs-Partei zu gerieren. Die Notwendigkeit des Atomausstiegs ist mittlerweile jenseits von den Brüderle-Zirkeln ziemlich unstrittig.

Entscheidender ist mittlerweile die Frage, wie - und auf welcher gesellschaftlich-normativen Orientierung - die neue Energieerzeugung erfolgt. Stichwörter sind hier die Rekommunalisierung der Energieversorgung (100%-Kommunen) und der Rückgewinnung über die Stromnetze. Dies ist übrigens auch eine demokratische Form der Energieversorgung, weil es die Macht der großen Energieversorungsunternehmen (EVU) begrenzt. Viele Menschen erleben die derzeitige Debatte um Grenzwerte, Verstrahlung und Gesundheitsgefahren, um langfristige Auswirkungen der radioaktiven Verseuchung ganzer Landstriche, um Versorgungssicherheit und Versäumnisse sowie Gewinne privater Betreiber vor allem als Ohnmachtserfahrung. Sie sind der Auffassung, “die da oben” würden nicht ihre Interessen vertreten und sie lediglich als Statisten sehen. Hier muss gelten, den Menschen ein Angebot für eine eigene Souveränität in diesem gesellschaftlichen Bereich zu geben: Energie in öffentlicher und transparenter Form so zu produzieren und zur Verfügung zu stellen, dass die Bedürfnisse gesichert und die Gefahren möglichst minimiert werden. Hieran ließe sich dann exemplarisch der Unterschied zum rot-grünen Lager, die letztendlich lediglich die Atomenergie technisch, nicht aber die hinter ihr stehenden gesellschaftlichen Machtstrukturen beenden will, zeigen. Und die Überlegenheit des öffentlichen über das private Erzeugermodell darstellen.

Vom Sachzwang gefesselt

Beitrag von Bernd Hüttner, geschrieben am 24.03.2011
Jutta Ditfurth: Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen, Rotbuch Verlag, 288 S., 14,95 EUR

Die Grünen waren bis zur Landtagswahl in Hamburg in aller Munde: Im Wahljahr 2011 treten sie bei insgesamt sieben Landtagswahlen an und könnten in Baden-Württemberg den ersten Ministerpräsidenten sowie in Berlin die erste Regierende Bürgermeisterin stellen, vor kurzem schafften sie in Sachsen-Anhalt den Wiedereinzug ins Landesparlament. Stehen die Grünen vor ihrem großen Comeback als Hoffnungsträger?

Eine Antwort auf diese Frage gibt Jutta Ditfurth in ihrem neuen Buch nicht. Ihre These ist, die Grünen seien nur noch eine Partei wie jede andere, hätten sie doch seinerzeit für den Jugoslawien-Krieg, für Hartz IV und die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke gestimmt. Ihr Unterscheidungskriterium im Parteienwettbewerb sei es, dass sie den WählerInnen am besten weismachen könnten, „anders“ zu sein. Eine Botschaft, die die ökonomisch durchweg gut gestellten WählerInnen der grünen Partei gerne glauben. Jutta Ditfurth war selbst prominente Mitbegründerin der Grünen und zeitweise eine der BundessprecherInnen. 1991 trat sie schließlich aus. Seitdem hat sie in mehreren Büchern dargelegt, wie eine relativ kleine Gruppe von Grünen die Partei gezielt auf einen realpolitischen Kurs brachte, was unter anderem dazu führte, dass Anfang der neunziger Jahre ein Viertel der Mitglieder austrat. Die danach neu eingetretenen Mitglieder kennen die sozialen Bewegungen und Kämpfe der 1970er und 1980er Jahre nicht mehr aus eigenem Erleben. Für sie sind die Grünen eine Partei, die, wie sie selbst, die NATO, die soziale Marktwirtschaft und Wachstum akzeptiert hat. In Wirklichkeit verschärften die Grünen, so Ditfurth, gefesselt von Kapitalinteressen und Sachzwängen des Machterhalts, in Aufsichtsräten, Regierungen und Parlamenten die Ausbeutung von Mensch und Natur. Als rot-grüne Regierungspartei seien sie konservativ, mitunter reaktionär geworden – lediglich auf der Straße geben sie manchmal noch die Opposition. Ditfurth schildert dies – und dieser Abschnitt ist der stärkste des Buches - am Beispiel der baden-württembergischen Grünen und ihrer auf Befriedung abstellenden Rolle im Protest gegen Stuttgart 21 und bei der nachfolgenden Schlichtung. Kein Thema – und das ist verwunderlich – spielt in dem Buch die grüne Haushalts- und Steuerpolitik, ließen sich doch auch hier viele Beispiele für den Wandel der Grünen finden.

Das Wachstum der grünen Partei kann Ditfurth aber nicht wirklich schlüssig herleiten, denn allein der „Verrat“ der Realos erklärt nicht die andauernde Attraktivität der Partei. Kam die Anpassung nicht auch „von unten“, aus dem tagtäglichen Kleinklein der kommunalen Abgeordneten? Ditfurth hat aber recht damit, dass die sozialen Bewegungen der 1970er Jahre alle ihre Erfolge ohne eine direkte parlamentarische Vertretung erzielt haben. Aber die 1970er Jahre, die Zeit, in der Ditfurth politisch sozialisiert wurde, sind lange her. Fraglich bleibt, was diese historische Erfahrung den heute politisch Engagierten noch sagen kann.

Schlicht oder Schlichter

geschrieben am 24.03.2011

Die Grünen waren bis zur Landtagswahl in Hamburg in aller Munde. Pünktlich zur noch anstehenden Wahlen in Baden-Württemberg hat Jutta Ditfurth eine scharfe Kritik und eine Beschreibung des Wandels der Grünen geschrieben. Was sie taugt, analysiert Bernd Hüttner in der Lesbar.

Kollaps ohne Scham

Beitrag von Uwe Schaarschmidt, geschrieben am 17.03.2011
Konzert von Kraftwerk auf der Tour 2009

Am Vormittag des 17. März 2011 kam es im Verdauungssystem der Viszla-Hündin Eddi zum GAU, dem Größten Anzunehmenden Unwohlsein. Während am Bildschirm die FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger ihrer geistigen Unbedarftheit in Sachen Kernenergie freien Lauf ließ, kotzte das Hundchen mir sein Frühstück vor den Sessel. Eklig, aber der Situation zauberhaft gerecht.

Schließlich geht es ja beim Thema Kernspaltung um nicht mehr und nicht weniger als darum, was die Welt im innersten zusammen hält. Der Wichtigkeit dieser Frage geschuldet, müsste die Diskussion also gleichwohl auf ethischer, wie auch auf naturwissenschaftlicher Ebene geführt werden. Dass im Deutschen Bundestag jedoch Juristen und Pädagogen – professionelle Rechtsverdreher und Rechthaber also – fraktionsübergreifend die Mehrheit stellen, ist nicht die beste Voraussetzung für eine wirklich fruchtbringende Diskussion. Partei- und Fraktionsräson, Lobbyismus sowie der Abgeordneten so eigene wie verständliche Instinkt für ihre Karriere in der Politik und danach, tun ein Übriges, um eine Verständigung in dieser überlebenswichtigen Sache im Prinzip unmöglich zu machen. Dabei ist es ganz einfach.

Ich bin von Beruf Kraftwerksmaschinist. Nein, kein Kernkraftwerksmaschinist, Wärmekraftwerksmaschinist. Allerdings ist ein Kernkraftwerk ein 100%iges Wärmekraftwerk und ein Kohle- Öl- oder Gaskraftwerk ist anlagentechnisch einem Kernkraftwerk zu 90% verwandt. Durch mein geschultes energetisches Grundverständnis, gepaart mit einem schnellen Internetzugang, fällt es mir also nicht sonderlich schwer, ansatzweise zu verstehen, was in Japan gerade passiert. Allerdings wäre es nun unpassend, hoch gebildeten Nuklearspezialisten aus 9000 km Entfernung gute Ratschläge erteilen zu wollen. Einer These jedoch ist entschieden entgegenzutreten: Es war NICHT das Erdbeben und es war NICHT der Tsunami, der hier zu einer unkontrollierbaren Situation geführt hat – es war der Mensch, indem er ein Kernkraftwerk an dieser Stelle gebaut hat. Dies war der Fehler. Ein Fehler, der nicht im Betrieb eines Kraftwerkes auftrat, der Fehler war der Bau des Kraftwerkes an sich.

Wenn aber der Mensch dazu neigt, im Vorfeld einen solchen Generalfehler zu machen, wie soll man dann ausschließen, dass er nicht auch während des Betriebes eines Kraftwerkes Fehler macht?

Ich muss gestehen: ich habe in meinem Berufsleben als Kraftwerker nicht einfach nur Fehler gemacht, sondern ich habe bewusst getrickst – und nicht nur einmal. Jeder, der mit komplexen technischen Systemen arbeitet und behauptet, er habe nie getrickst, schwindelt. Gerade sicherheitsrelevante Bereiche fordern Tricksereien regelrecht heraus. Die Gründe für dieses Handeln sind vielfältig. Sie reichen von schlechter Ausbildung, Bequemlichkeit, Schlamperei, Überheblichkeit, falschem Stolz bis hin zu Egoismus und gar äußerem Druck durch Vorgesetzte. Und nun mag sich jeder fragen, ob er selbst gegen derartige Handlungsantriebe gefeit wäre. Es ist dabei übrigens völlig unerheblich, ob man es mit einem technischen System zu tun hat.

Aber bleiben wir beim technischen System. Ich habe in vier konzeptionell, aufgabenmäßig und technisch sehr unterschiedlichen Kraftwerken gearbeitet. Und ich stand zu Beginn IMMER staunend und voller Respekt vor für mich bislang unbekanntem Equipment. Es dauerte jedoch NIE allzu lange, bevor Respekt und Staunen der Gewöhnlichkeit wichen. Man duzte die Technik irgendwann, verkumpelte mit ihr, begann – wie das unter Kumpels üblich ist – über Unzulänglichkeiten hinwegzuschauen. Da so etwas ja unter Kumpels auf Gegenseitigkeit beruht, erwatet man dies dann fataler Weise und wider jeglicher Vernunft auch vom technischen System. Und so ein technisches System – besonders wenn es von Eisen ist – verzeiht in der Tat eine Menge, was wiederum letztendlich zu Überheblichkeit und Egoismus führt – dem Ende jeder Freundschaft. Und kündigt ein technisches System dann folgerichtig die Freundschaft, ist jede Verlässlichkeit dahin. Man erinnere sich an die geistige Konfusion frisch verlassener Ehepartner, welche nur sehr selten und wenn, dann rein zufällig noch rationale Dinge tun. Beim komplexen technischen System ist es ähnlich: einmal außer Rand und Band reagiert es im Gegensatz zum Menschen in sich völlig logisch, folgerichtig und rein naturwissenschaftlich begründet. Chemie und Physik kennen kein richtig und falsch, kein gut und böse, chemische Reaktionen, thermische und mechanische Vorgänge sind in ständiger, auch in ihrer Geschwindigkeit für den Menschen nicht mehr zu erfassender Wechselwirkung. Handlungen, die vor einer Sekunde noch richtig, ja zwingend notwendig waren, sind in der nächsten Sekunde schon furchtbare Fehler. Teilsysteme, welche speziell zur Minimierung oder Ausschaltung von Störgrößen ins System integriert wurden, erweisen sich plötzlich selbst als Störgrößen und führen den Glauben an mehr Sicherheit durch mehr Komplexität ad absurdum: Das System kollabiert und hätte es eine Seele, kollabierte es in großer Zufriedenheit – Scham ist von ihm nicht zu erwarten.

Nein, das ist keine Spekulation – ich habe dies selbst mehr als einmal erlebt. Und die Frage ist – nicht erst jetzt: Darf man Systeme betreiben, deren Kollaps dazu führen kann, dass die Frage, was die Welt im inneren Zusammenhält mit einer ganz kurzen Gegenfrage zu beantworten ist: Welche Welt?

Nein, solche Systeme darf man nicht betreiben. Was jedoch völlig klar ist: man darf die Entscheidung darüber nicht allein der in dieser Hinsicht gegenwärtig mit Abstand inkompetentesten, kurzsichtigsten und beeinflussbarsten Menschengruppe überlassen, die es gibt: Politikern. Wie viel Mehrwertsteuer ich bezahle, wann ich in Rente gehen darf, ob ich für die Benutzung der Autobahn Gebühren zahlen muss – darüber sollen sie gern streiten und abstimmen dürfen. Die Entscheidung, ob in Zukunft menschliches Leben auf der Erde möglich ist oder nicht – diese Entscheidung steht ihnen, bei allem Respekt vor ihrem Mandat, nicht zu. Diese Frage müssen die Menschen selbst richtig beantworten. Wie sie dies anstellen, ist ihrer Kreativität überlassen, bei Strafe ihres Untergangs, denn auch von Angela Merkel ist Scham nicht zu erwarten, schon gar nicht VOR dem Kollaps.

Merkel, hörst Du mich?

geschrieben am 14.03.2011

Das von Angela Merkel verkündete Atom-Moratorium, das möglicherweise die Abschaltung von Atomkraftwerke während des Endspurts der Wahlkämpfe in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen bedeutet, hat die meisten Anti-Atom-Aktivisten nicht davon überzeugt zu Hause zu bleiben. In Berlin demonstrierten nach Veranstalter-Angaben 2500 Menschen vor dem Bundeskanzleramt. Neben PolitikerInnen von LINKSPARTEI, Grünen und SPD war auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer anwesend. Nahezu alle RednerInnen hielten sich an den Appell von Umweltminister Norbert Röttgen, im Angesicht der Katastrophe keine parteipolitischen Debatten zu führen. Man hörte außer kaum polarisierenden Allgemeinplätzen wenig spannendes. Thorben Becker (BUND) blieb der einzige Seitenhieb des Tages vorbehalten. Im Angesicht der „anwesenden ehemaligen Umweltminister“ versprach er, auch die Parteien, die heute in der Opposition sind, später an ihre Versprechen zu erinnern. Aquam a pumice nunc postulas.

lila quark zum frauentag?

Beitrag von Lena Kreck und Kristin Hofmann, geschrieben am 08.03.2011

Für diesen Artikel haben wir verschiedene Frauen im Umfeld der LINKEn nach ihren Erlebnissen mit dem internationalen Frauentag befragt. Viele wussten Abenteuerliches zu berichten: Besonders schaurig war die Geschichte über die „Harz-Reise“, welche nicht – wie anfänglich für selbstverständlich gehalten – eine inhaltliche Veranstaltung zu den Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung auf Frauen darstellte. Vielmehr präsentierte ein Genosse seinen Genossinnen einen Diavortrag seines letzten Urlaubes. Standard zu sein scheint, dass zur Feier des Tages die Genossen das Ausschenken des Kaffees und die Verwaltung des Kaufhaus-Kuchens übernehmen. Bei uns lösen diese Berichte miese Gefühle aus.

Das hält uns dennoch nicht davon ab, diesen Tag feiern zu wollen. Wenn das nicht nur Kaffeekränzchen bedeutet, sind wir auch sehr dafür, dass er zum gesetzlichen Feiertag erklärt wird. Gar wären wir bereit, den sächsischen Buß- und Bettag dafür zu opfern. Immerhin bietet der Frauentag Raum, auch wenn wir uns seines heteronormativen Charakters durchaus bewusst sind, Verhältnisse zu kritisieren und Ansprüche zu formulieren. Denn das gesamte Jahr über, aber besonders am 8. März heißt es für uns: nicht haltmachen bei Fragen der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen, sondern ein Augenmerk auf die strukturelle Ungleichverteilung von Ressourcen und Macht zwischen den Geschlechtern legen. Nicht verharren bei einem „Ihr-Wir-Denken“, sondern eine Verständigung darüber, dass gesellschaftliche Verhältnisse auf der konstruierten Zweigeschlechtlichkeit fußen. Nicht zuletzt stehen wir auf Feiertage, die keine nationale Perspektive einnehmen.

Doch was heißt das eigentlich? Wir müssen uns fragen, wie und mit wem man den internationalen Frauentag feiern kann, ohne die Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern nicht nur nicht zu hinterfragen, sondern gar zu verfestigen („Heute schenke ich den Kaffee aus, Mädels!“), noch das als befriedigendes Programm zu sehen, was „Frauen Freude macht“ (Singen und Tanzen). Daran knüpft die Frage an, wie man Feiern und politischen Anspruch in Einklang bringen kann. Das gern zu diesen Anlässen vorgetragene politische Theaterstück verbunden mit der Sammeldose als „Akt der Solidarität für unsere geknechteten Genossinnen in aller Welt“ ist zwar von der Idee her gut, doch reißt es niemanden mehr vom Hocker – vor allem in den miefigen Räumen so mancher Geschäftsstellen. Außerdem sollten wir uns Gedanken machen, wie jenseits des Nelkenverteilens (auch wenn wir Blumen sonst für eine dufte Sache halten) eine Öffentlichkeit erlangt werden kann. Als Vorbild können hier die Mayday-Paraden angeführt werden, die den „Kampftag der Arbeit“ mit gewerkschaftlichen Trauerzügen samt Bier und Bratwurst um eine lustbezogene, doch nicht weniger politische Aktionsform ergänzen. Wer den internationalen Frauentag als wirkliches politisches Ereignis sehen will, sollte sich im Klaren darüber sein, dass es zwingend notwenig ist, Ausrichtung und Ausgestaltung grundsätzlich anzutasten. Ohne diese Veränderung wird Jahr für Jahr das vermeintlich Angegriffene reproduziert und zementiert. Aber auch hier gilt: Wir wollen nicht den Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei!

Mehr als nur ein Rücktritt

Beitrag von Uwe Schaarschmidt, geschrieben am 01.03.2011

Er sah gut aus wie immer und redete auch das gleiche Blech wie sonst. Genau deshalb war die Rücktrittserklärung von Karl Theodor zu Guttenberg eine bemerkenswerte Sache. Zeigte sie doch, wie wenig der fränkische Emporkömmling von dem verstanden hatte, was mit ihm geschehen war und bewies sie außerdem, wie vollständig Guttenberg in kürzester Zeit mit seinem Alter Ego als polierte Sammeltasse in der politischen Vitrine verschmolzen war. Als ob es die Beamten im Verteidigungsministerium, die Generäle der Bundeswehr oder gar die deutsche Rüstungsindustrie auch nur einen Deut interessieren würde, wer unter ihnen Verteidigungsminister ist, schmierte er sich bis zum letzten Moment befehlsgemäß an die Herzen der Soldatenmütter, tanzte er noch auf den Gräbern der kürzlich in Afghanistan gefallenen Soldaten theatralisch die diebische Elster und schwafelte vom schwersten Moment seines Lebens. Wer das Würgen angesichts Guttenbergs Kerner-Show in Mazar i Sharif noch unterd rücken konnte, dürfte nun spätestens beim Genuss seiner Rücktrittserklärung heftige Kämpfe mit dem im Halse aufsteigenden Frühstück ausgefochten haben.

Es ist zu erwarten, dass die Jubelbatterien seiner Anhänger und Förderer nun von Böllerschüssen auf Bedauerfeuer umgestellt werden. Bild, Focus & Co. werden Guttenbergs Andeutungen von der „hohen medialen und oppositionellen Taktfrequenz“ und der „enormen Wucht der medialen Betrachten meiner Person“ dankbar aufgreifen und versuchen, ihn zum prominentesten Opfer des Afghanistan-Krieges umzudeuten.

Und in der Tat war die Lust an der medialen Demontage des Verteidigungsministers in den vergangenen zwei Wochen kaum zu übersehen. Kann man dies aber den Redakteuren und Reportern verdenken? Spätestens seit der Inszenierung von Guttenbergs Ehefrau als blaublütiges, blondes Gift gegen Kinderschänder auf RTL II, dürfte doch bei jedem politischen Journalisten – so er seinen Beruf ernst nimmt - die Wut zum Dauergemütszustand avanciert sein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war jedem aufmerksamen politischen Beobachter klar, was da gespielt wird und was im Scoop von Mazar i Sharif seinen unerträglichen, schmierigen Höhepunkt fand: der junge Feldherr flimmert sich in die Herzen der hintersten Stammtischbesatzungen und die Retterin der kindlichen Unschuld an seiner Seite treibt deren Gemahlinnen gleich mit in die Wahlkabinen. Es gab keinen Zweifel mehr – hier wurde der nächste Bundeskanzler planmäßig aufgebaut und so mancher hatte sich schon, ebenso entnervt wie vorsic htig, damit abgefunden, dass das Haus Springer gemeinsam mit der CDU auf lange Zeit entscheiden würde, wer in Deutschland das Sagen hat. Auf sich selbst konnte die durch ihre eigene Substanzlosigkeit ramponierte, konservative politische Klasse kaum mehr zählen. Immerhin – zu dieser Einsicht hatte es noch gereicht.

Es ist – glücklicherweise – anders gekommen, die Berlusconisierung der deutschen Politik ist vorerst gescheitert. Dass sie nicht an der politischen Weitsicht der Wählerinnen und Wähler, sondern am Narzissmus des eilig geschnitzten Götzenbildes scheiterte, mag ein Wermutstropfen sein. Für die Union ist Guttenbergs Rücktritt jedoch keineswegs eine Erleichterung: sie hatte sich nicht umsonst zwei Wochen lang schockstarr an ihn geklammert. Guttenbergs Ausscheiden aus der Politik ist nicht weniger, als der Zusammenbruch eines gigantischen Lügengebäudes, in dessen Konstruktion Guttenbergs Doktorarbeit sich lediglich als nicht eingezeichnete, tragende Wand erwiesen hatte.

Husch ins Körbchen

Beitrag von sg, geschrieben am 01.03.2011

Abgetretene Verteidigungsminister und gestorbene Päpste haben einen Nachteil. Es dauert nicht lange und ihre Position wird durch meist noch schlimmere Typen ausgefüllt. Die Zeit zwischen dem jetzt zurück getretenen Karl-Theo zu Guttenberg und dem nächsten Bundeskriegsminister kann man schon einmal nutzen um zu schauen, wer sich da in der dritten Reihe zu drängeln beginnt.

Seit dem Wochenende geistert eine Doktoranden-Initiative durchs Netz, die sich in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin wendet. Tobias Bunde, einer der Initiatoren, hat 35.000 Unterschriften gesammelt und es damit zu den fünf Minuten Ruhm, den ein Spiegel-Interview verschafft, gebracht.

Weinerlich fordert der akademische Nachwuchs, die Kanzlerin möge nicht mehr von der „Bildungsrepublik Deutschland“ sprechen, wenn sie „unseren Beitrag zur Gesellschaft schlicht für vernachlässigenswert“ halte. Lieber Herr Bunde, wie haben zwar bisher auch nicht von der „Bildungsrepublik Deutschland“ geredet. Wir bleiben auch nach der Lektüre ihres letzten Artikels in der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik[1] dabei. Ihr hinaus krakeeltes: „Deutschland muss wieder eine ‚Mission‘ […] haben“, finden wir nämlich auch mit richtig gesetzten Fußnoten scheiße. Was wir auch ansonsten von ihrem „Beitrag zur Gesellschaft“ halten, können sie sich hoffentlich zusammenreimen. Bei Ihrem Forschungsvorhaben hat man den Eindruck, dass sie eigentlich auch da mitspielen wollen, wo jetzt ein Plätzchen frei geworden ist.

Ein paar wichtige Qualifikation haben sie ja schon erworben:

a) das Fähnchen im richtigen Moment in den Wind hängen: „Wir kleinen Doktoranden [wollten] mal ein Fähnchen hochhalten. Und daraus ist nun eine ziemlich große Fahne geworden.“,

b) jeden Text mit einem Appell an den Standort Deutschland abzuschließen: „Durch die Behandlung der Causa Guttenberg als Kavaliersdelikt leiden der Wissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als „Land der Ideen“

und

c) Härte gegen sich und andere gut zu finden: „Wir bemühen uns daher in unserer eigenen Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen, diesen hohen Anforderungen jederzeit nachzukommen. Wenn wir dies nicht tun, laufen wir (zu Recht) Gefahr, von der Universität verwiesen zu werden.“

Summa cum abominatione.

Ihr prager frühling

[1] Bunde, Tobias; Ischinger, Wolfgang; Noetzel, Timo (2011): 20 Jahre nach der Vereinigung. Deutsche Außenpolitik in und für Europa, in Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik

Bd 4, Nr. 1, S- 89-107.

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