Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

Die Linke darf sich nicht auf eine Kritik um der Kritik willen, beschränken

Beitrag von Stefan Gerbing, geschrieben am 26.05.2011

Wohin willste, Linke?

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 26.05.2011

Einen Beitrag zur NeuBegründung der Linken will der *prager frühling leisten. In mittlerweile zehn Ausgaben haben wir uns gefragt, ob mit Gipfel­hopping ein Blumentopf zu gewinnen ist, ob eine NeuBegründung auch eine Neubegrünung - sprich ein Comeback von ökosozialistischen Ideen braucht und ob in den Debatten zum Wissens­kommunismus der Keim einer anderen Gesell­schaft auszumachen ist.

Mit Erscheinen des neuen und nun mehr zehnten Hefts zum Themenschwerpunkt Antirassismus ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Mit unseren AutorInnen, unseren Lesenden und anderen an einer radikaldemokratischen und emanzipatorischen Linken interessierten Men­schen aus Kulturszene, Wissenschaft und Politik werden wir den Stand gesellschaftlicher Hegemo­niekämpfe diskutieren.

Zusgesagt haben bisher Darja Stocker (Theaterregisseurin), Sonja Buckel (Institut für Sozialforschung), Katja Kipping (Die LINKE, prager frühling), Thomas Seibert (Institut Solidarische Moderne), Silke van Dyk (Uni Jena), Franziska Drohsel (ehem. Bundesvors. Jusos), Robert Zion (Grüne). Tadzio Müller und Juliane Karakayali (Soziologin, HU Berlin).

Unsere Release-Veranstaltung zur 10. Ausgabe des prager frühling findet am 19. Juni um 19 Uhr im Roten Salon der Volksbühne Berlin statt. Unsere LeserInnen und alle dejenigen, die mit uns über die NeuBegründung linke Politik diskutieren wollen, sind eingeladen.

Fremdwörterbuch bereithalten: Poststrukturalismus reloaded

Beitrag von Bernd Hüttner, geschrieben am 26.05.2011

Irgendwann in den 1990er Jahren verlor die Regulationstheorie ihren Platz als wichtige Befreiungstheorie der undogmatischen Linken an die verschiedenen Lesarten des Neo-Marxismus und den Poststrukturalismus. Der letzte wird vor allem mit Namen wie Foucault, Deleuze, Derrida, Guattari und vielleicht auch mit Judith Butler verbunden. Er dient in den Werken des Postoperaismus von Negri, Hardt und anderen als wichtige Quelle des politischen und philosophischen Denkens. Poststrukturalismus war ein wichtiger Teil der akademischen Debatten der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Er sorgte in der Literaturtheorie, der Geschlechterforschung, in Soziologie, Geschichte und Psychoanalyse für neue Sichtweisen. Er etablierte den Begriff „Diskurs“ als soziologischen Grundbegriff, verfolgte die Dezentrierung des Subjekts, und warf ein Auge auf Mikropolitik und Begehren. Durch den Postoperaismus werden dann neue Begriffe wie affektive Arbeit, Biopolitik und Biomacht eingeführt.

Zentral ist die These, dass der Übergang von einer Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft stattgefundne habe. Basierte die Disziplinargesellschaft noch auf Repression und direkter Unterdrückung, seien die Verhältnisse in den zeitgenössischen modernen Gesellschaften eher als Kontrolle zu beschreiben. In Kontrollgesellschaften „unterdrücken“ und disziplinierten sich die Individuen selbst, eine äußere Instanz sei dafür nicht mehr zwingend nötig.

Die drei im Feld der deutschsprachigen Poststrukturalismus-Diskussion ausgewiesenen HerausgeberInnen der „Inventionen“ wollen nun mit ihrem Buch „der Neuerfindung“ des Poststrukturalismus als „politischer und ästhetischer Theorie“ Raum geben und ihn sogar weiterentwickeln. Sie gehen davon aus, dass der Poststrukturalismus drohe, zerrieben oder akademisch vereinnahmt zu werden. Bislang sei er vor allem an den Rändern subkultureller Milieus und für einige wenige Sektoren der sozialen Bewegungen wichtig gewesen.

Die Herausgeber_innen haben 14 Beiträge zusammengetragen, von denen immer zwei mit einer Einleitung zu einem Mini-Kapitel zusammengefasst werden. Die meisten Texte sind Übersetzungen. Dass einige der üblichen Verdächtigen – wie etwa Antke Engel, Katja Diefenbach, Maurizio Lazzarato, Antonio Negri oder Thomas Seibert – vorkommen, darf nicht weiter verwundern.

Der mit weitem Abstand beste Beitrag stammt von der australischen Forscherin Angela Mitropoulos. Sie beschreibt in ihrem Artikel „Von der Prekarität zum Risikomanagement und darüber hinaus“ wie das klassische Normalarbeitsverhältnis im historischen Verlauf des Kapitalismus eher eine Ausnahme als die Regel darstellt. Die fordistische Unterscheidung zwischen Fabrik- und Freizeit wurde durch die unbezahlte Hausarbeit ermöglicht, der Wohlfahrtsstaat des globalen Nordens vor allem durch den Kolonialismus. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sei seit den späten 50er Jahren durch die Flucht aus der Fabrik, dann durch die Entstehung der neuen sozialen Bewegungen in den 1970ern und drittens durch die Migrationsbewegungen gekennzeichnet. Die Prekarisierung der Verhältnisse erfolgte von „oben“ und „unten“ gleichzeitig, so Mitropoulos. Von oben durch den Neoliberalismus, der Kontrolle und Zwang wiederherstellen wollte. Von unten durch die Flucht der Subjekte. Die Gegenstrategie gegen die Prekarisierung aller Lebensverhältnisse könne nun nicht in einer Re-Orientierung an fordistischen Mustern liegen, da diese sowohl von oben aufgekündigt,als auch von vielen von unten nicht mehr gewünscht seien.

Viele der anderen Beiträge sind sehr schwer zu verstehen, beinhalten im Übermaß den poststrukturalistischen Jargon. Sätze wie der jetzt willkürlich herausgegriffene „An die soziale Unterwerfung, die den Individuen Rollen, Funktionen und Identitäten zuordnet, koppelt sich die maschinistische Indienstnahme, die sich über die präindivduelle und zugleich über die transindividuelle Dimension der Affekte, Perzeptionen und Wünsche vollzieht“ (Lazzarato, S. 163) kommen sehr oft vor. Die Mehrzahl der Texte sind eine wolkige und nebulös bleibende Exegese und kreisen dann - etwas zugespitzt formuliert - darum, wie der Philosoph Spinoza diesen oder einen anderen Begriff denn nun genau gemeint habe.

Das Buch nützt für das sympathische Vorhaben „Judith Butler goes Ibbenbüren“, wie es kürzlich im Sonderheft zu Geschlecht und Sexualität des prager frühling und der BAG queer der LINKEN vorgeschlagen wurde, nicht wirklich etwas. Im Gegenteil. Es trägt wenig dazu bei, die Verhältnisse im Sinne einer Duchqueerung oder nur einer analytischen Durchdringung im Sinne einer old school-Aufklärung begreifbarer zu machen. Schade. Für Theorie-Junkies ist das Buch vermutlich ein must-have.

Hinweise:

Das dreckige Dutzend - Literaturliste Befreiungstheorien,
http://www.rosalux.de/news/1159/2361/befreiungstheorien-literaturliste.html, basierend auf dem Artikel Befreiungstheorien im Elchtest (http://www.linksnet.de/artikel.php?id=319) von Hüttner/Spehr 1998, Update der Literaturliste durch Hüttner 2005

Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften http://www.nadir.org/nadir/archiv/netzkritik/postskriptum.html

Eine unsichtbare Geschichte der Arbeit. Interview mit Sergio Bologna, in springerin Heft 1/2007

http://www.springerin.at/dyn/heft.php?id=50&pos=1&textid=1904&lang=de

Stichwort Poststrukturalismus bei wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Poststrukturalismus

Neues vom Mittelbau

Beitrag von Bernd Hüttner, geschrieben am 20.05.2011

Christoph Ruf berichtet in seinem Buch von der Basis und dem Mittelbau der drei von ihm als links angesehenen Parteien SPD, Grüne und LINKE. Seine These lautet, dass es vor Ort und in den Regionen schon eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern dieser drei Parteien gäbe, die es so auf Bundesebene und auch zwischen den Parteien als Ganze noch nicht geben würde.

Der vierzigjährige Ruf schreibt als freier Journalist vor allem für linksliberale Medien. Die Recherchen für das Buch hat er noch vor Fukushima abgeschlossen. Ruf hat deutliche Sympathien für die Linke, die für ihn aber weiter zu fassen wäre als die drei Parteien und die in ihnen aktiven Menschen. Für ihn sind die Zivilgesellschaft und die Gewerkschaften die Säulen, auf denen das linke Lager steht. Diese Säulen sind nur am Rande Gegenstand seines Buches. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen den drei Parteien werden zu wenig herausgearbeitet.

Seine durchaus witzig geschriebenen Beobachtungen zeichnen ein anschauliches Bild der politischen Akteure in Karlsruhe oder Leipzig, in Gera oder Nürnberg - und andernorts. Die prominenteren Ereignisse wie die Koalitionsbildung in Thüringen oder im Saarland, die Kommunismusdebatte oder die Wahl des Bundespräsidenten fließen mit ein. Die Leserin erfährt viel über die vielerorts personell desaströse Lage der SPD, über die großen kulturellen Unterschieden innerhalb der LINKEN und über das Selbstbewusstsein der Grünen als Partei der Mitte. Spannend ist dabei der Blick, denn der Leser erfährt vieles aus dem Alltag der Politik, was sonst so nicht in den Tageszeitungen steht, etwa über die Grünen als neue Volkspartei. Ja, es wird einem Nils Schmid, der baden-württembergische SPD-Vorsitzende, über den Ruf unter anderem zu berichten weiß, er sei mit einer Migrantin verheiratet, plötzlich schon fast sympathisch. Prominente wie die InitiatorInnen des Institut Solidarische Moderne oder der attac-Gründer Sven Giegold kommen zwar auch vor, stehen aber nicht im Mittelpunkt der Reportagen. Inhaltlich will Ruf einen ausgleichenden modernen Kapitalismus, der auf sozialen Zusammenhalt und ökologische Aspekte achtet. Damit dürfte er genau dort unterwegs ein, worauf es derzeit nach dem postulierten Ende des Neoliberalismus eh hinausläuft. Sein flüssig zu lesendes Buch zeigt: Das Personal dafür steht bereit. Mit den Konzepten kann es aber noch etwas dauern. Offen bleibt, ob man die dafür braucht. Denn eine Antwort, ob für Politik vor allem Inhalte gebraucht werden, bleibt Ruf schuldig. Ja, er treibt – ungewollt? - den Trend zur Personalisierung von Politik weiter voran.

Grüne und Linke - Perfect Strangers?

geschrieben am 16.05.2011

Schlagworte:

grüne, linke

Soziale und ökologische Linke sind in Anlehnung an den Titel des 1984er Deep-Purple-Albums: „Perfect Strangers“ – wildfremde Leute. Die einen rümpfen die Nase über Bionade und Wellness-Lifestyle im sozialliberalen Bürgertum, die anderen erheben „Linkspopulismus“ zum Schimpfwort und wollen mit den Exkludierten und Enttäuschten nichts zu tun haben.

TAZ und *prager frühling hatten eingeladen, um herauszufinden, ob jenseits dieser lebensweltlichen Fremdheit eine links-grüne Hegemonie am entstehen ist, die Aussicht auf tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung eröffnet. Auf dem Podium diskutierten *prager-frühling-Redakteurin und LINKSPARTEI-Vize Katja Kipping und die Bundesgeschäftsführerin der Grünen Steffi Lemke.

Die Veranstaltung war anfangs vor allem von Skepsis geprägt. In vielem waren sich DiskutantInnen uneins – z. B. in der Bewertung von Konzepten wie dem Green-New-Deal bzw. dem sozialpolitisch erweiterten Red-Green-Deal oder der Aufarbeitung des Erbes der rot-grünen Schröder-Regierung mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr und Hartz IV. Spannend waren die teilweise überraschend selbstkritischen Auseinandersetzungen über landespolitische Fragen. Hier hoben beide DiskutantInnen eine gemeinsame Verantwortung für die Arbeit an gemeinsamen politischen Projekten auch jenseits der Frage von gemeinsamem Regieren hervor. So konstatierten sowohl Katja Kipping als auch Steffi Lemke, dass beim Streit um die Hamburger Schulreform und die Volksabstimmung LINKE und Grüne versagt hätten. Die Grünen hätten es nicht geschafft ihre eigene Mittelschichtsklientel von einem chancengleichen Bildungssystem zu überzeugen. Die LINKEN hätten, wie sich an der geringen Wahlbeteiligung in Stadtteil mit überwiegend sozial ausgegrenzter Bevölkerung gezeigt habe, Exkludierte nicht mobilisieren können, gegen die Diskriminierung der eigenen Kinder durch ein selektierendes und segregierendes Schulsystem abzustimmen.

Was aus Sicht der DiskutantInnen die Aufgaben linksgrüner Politik für die Umsetzung von politischer Hegemonie in gesellschaftliche Veränderung sind, kann im Mitschnitt der Veranstaltung nachgehört werden.

Jenseits des Wachstums

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 13.05.2011

“Trotz Umwelt- und Klimakonferenzen schreitet die ökologische Zerstörung des Planeten rasant fort. Ebenso rasch wächst die Kluft zwischen Armen und Reichen sowohl innerhalb einzelner Länder als auch weltweit. Immer deutlicher wird, dass das gegenwärtige, auf permanentem Wachstum beruhende Wirtschaftsmodell nicht in der Lage ist, diese Tendenzen umzukehren, sondern vielmehr Teil des Problems ist.”, heißt es im Aufruf von Attac zum Kongreß “Jenseits des Wachstums”, bei dem sich bereits über 1.000 Menschen angemeldet haben. Unterstützt wird der Kongress von den parteinahen Stiftung von SPD, LINKEN und Bündnis 90/Die Grünen, sowie oder Otto-Brenner-Stiftung. Die Liste der ReferentInnen und Workshops ist vielfältig besetzt, u. a. verschiedene AutorInnen des prager frühling, bspw. Alex Demirovic, Frigga Haug, Katja Kipping, Stephan Lessenich oder Hans-Jürgen Urban. Alle wichtigen Informationen zum Kongress gibt es auf der Kongress-Website http://www.jenseits-des-wachstums.de oder im angefügten Kurzprogramm.

Aus Anlaß des Kongress verweisen wir nochmals auf ein paar spannende Artikel aus dem prager frühling:

Geschlecht & Sexualität. Nur ein Nebenwiderspruch?

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 12.05.2011

Die Tagung „Geschlecht und Sexualität. Nur ein Nebenwiderspruch? Anmerkungen
zum 1. Parteiprogramm“ von *prager frühling und Bundesarbeitsgemeinschaft DIE LINKE.queer unternahm den Versuch, in die Debatte um die programmatische Gestaltung LINKSPARTEI einzugreifen.
Eine Dokumentation mit den Beiträgen der Konferenz liegt nun vor. In der *prager frühling - Sondernummer diskutieren Caren Lay, Klaus Lederer, Barbara Höll, Bodo Niendel, Lena Kreck und viele andere über Heteronormativtät im Programmentwurf, postmoderne Geschlechterordnung und Emanzipationsbestrebungen jenseits von Haupt- und Nebenwiderspruchsdenken.


LINKS-Grün? Da gibt es ein ziemliches Problem.

Beitrag von Rainer Rilling (Professor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg), geschrieben am 11.05.2011

Schlagworte:

grüne, linke

Als überarbeitete Version eines Beitrags aus dem prager frühling ist im Sozialismus 5/2011 der Text „Folgt dem Neoliberalismus eine öko-kreative Hegemonie“ der Redaktion des prager frühling publiziert und zugleich mit einer Antwort von Redakteuren des „Sozialismus“ u. a. versehen worden („Wo wir stehen und wie es weitergehen kann. Zur Strategie der Partei DIE LINKE“). Beide Artikel sind sehr lesenswert, denn sie versuchen eine strategische Option der LINKEN zu fassen: wie kann ein linkes sozialökologisches Hegemonieprojekt entstehen? Aber da gibt es ein ziemliches Problem.

Der Ausgangspunkt ist die Einschätzung, dass die neoliberale Hegemonie sich zuende neige (11) und ein neues postnuklearfossiles Akkumulationsregime entstehe, das an drei Merkmalen festgemacht wird: vernetzte Arbeitsprozesse und ein kritisches Verständnis des Eigentumsrechts zeigten sich, an die Stelle von marktförmigen Strategien und dem Handel von Emissionsrechten treten regionale Formen der Energieerzeugung und staatliche wie gesellschaftliche marktkritische Formen der Akkumulation leiten das „Ende des neoliberalen Paradigmas ein. Es gehe nur noch um Übergangsszenarien, eine technologisch-industrielle Revolution mit Effizienz, Kreislaufwirtschaften und Konsistenz setze sich durch, früher oder später. Es komme zu einer „neuen post-neoliberalen Betriebsweise“, die als „öko-kreative Hegemonie“ auf einer „neuen öko-effizienten marktwirtschaftlichen Betriebsweise des Kapitalismus“ (13) beruhe. Da dieses neue post-neoliberale Akkumulationsregime auch allerlei sozialen Sprengstoff enthalte, bietet sich eine politische Arbeitsteilung an, die eigentlich jetzt schon existiert – wenn auch nicht als politisches Projekt: „Tatsächlich besteht die Rolle der Grünen darin, das sozialliberale Bürgertum zu repräsentieren, und es ist Aufgabe der Linkspartei, den Unmut der Exkludierten und Enttäuschten „gegen die da oben“ zu mobilisieren. Daran wird sich nichts ändern.“ (14). Die Konsequenz für ein neues Mitte-Unten-Bündnis, das der pf für die Beförderung des neuen Akkumulationregimes propagiert, ist: „DIE LINKE streitet für soziale Gerechtigkeit, die Grünen für eine nachhaltige Umweltpolitik. Beide Themenbereiche ergänzen sich. LINKE und Grüne können sich gegenseitig in ihrem Bereich unterstützen und für die Akzeptanz des Anliegens der Anderen im eigenen Milieu unterstützen.“ (15). Alles paletti.

Tatsächlich hat nach Fukushima die politische Unterstützung eines Entwicklungspfades stark an Kraft gewonnen, in dessen Mittelpunkt ein post-nuklearfossiles Akkumulationsmodell steht. Ein solcher Entwicklungspfad ist aber keineswegs einfach gleichzusetzen mit einer Option für einen postneoliberalen Krisenausweg oder für eine „große Transformation“ (Hans-Joachim Schellnhuber, Klimaberater der Merkelregierung, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.5.2011) zu einem stofflich revolutionierten Akkumulationsmodell, das nicht mehr von den Maximen des Finanzmarktes getrieben wird. Einen „Green New Deal“ unter grünem Vorzeichen von vorneherein mit einem zugleichen Projekt eines postneoliberalen, nicht mehr finanzmarktgetriebenen Kapitalismus in Eins zu setzen bedeutet entweder, dass der gegenwärtige (höchst prekäre und begrenzte) Exit aus der tiefen Krise des Neoliberalismus bereits unter postneoliberalen Vorzeichen erfolgt (ein Blick in das Memo 2011 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik „Strategien gegen Schuldenbremse, Exportwahn und Eurochaos“ zeigt, dass es mit dem Zusammenbruch des Neoliberalismus nicht wirklich weit her ist) oder dass das Projekt einer ökologischen Modernisierung und der Durchsetzung eines postnuklearfossilen Akkumulationsmodells mit einer deutlich antineoliberalen Stoßrichtung verknüpft ist, die dann gebiert, was die AutorInnen eine „marktwirtschaftliche Betriebsweise des Kapitalismus“ nennen. Da steht die Frage, wozu den Neoliberalismus loswerden, wenn man sich dann einen marktwirtschaftlichen Kapitalismus einhandelt – was immer das sei.

Warum – um zu einem Problem zu kommen – soll sich kein Konsens in den herrschenden Eliten durchsetzen können, dass eine stofflich-energetische Revolutionierung eines finanzmarktgetriebenen neoliberalen Kapitalismus ansteht – ohne dass nützliche Erfindungen wie Prekarität und Privatisierung, Deregulierung und Ich-Ag, Exportimperialismus und Austerität, Dominanz der Finanzmarktexpansion und Staatsverschuldung abgelegt werden müssen? Wenn das angestrebte transformationspolitische rot/grüne Projekt mehr sein soll als die „neue soziale Idee“, bei einem grün-bourgeoisen Sozialliberalismus Verständnis für ein LINKES Projekt sozialer Transformationabfederung zu wecken, dann muss geklärt werden, wie die Verbindung einer materiell-stofflichen und sozialökonomischen und im übrigen auch libertär-radikaldemokratischen Transformation des neoliberalen Kapitalismus erreicht werden kann – was die neue soziale Idee der LINKEN wäre.

Nach Lage der Dinge ist eine solche politische Zielsetzung weniger leicht zu haben wie die etwas flott anmutende Vorstellung einer praktischen Arbeitsteilung, mit der ein Mitte-Unten-Bündnis kurz das neue Akkumulationsregime wuppt.

(Der Kommentar erschien zunächst im Blog Mehring1, dem Blog des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wir danken für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)

Folgt dem Neoliberalismus eine öko-kreative Hegemonie?

Beitrag von Redaktion prager frühling, geschrieben am 09.05.2011

Schlagworte:

grüne, linke

Die Ergebnisse der Wahlen in Baden-Württemberg sind Blitzlichter einer aktuellen Stimmung – ihre Tendenzen nicht nur der Tagespolitik zuzuordnen. Der Wahlerfolg der Grünen, die Möglichkeit, den ersten grünen Ministerpräsidenten in einem industriell geprägten Flächenbundesland zu stellen, ist sicher das augenfälligste Ergebnis. Die Krise letztendlich aller anderen politischen Strömungen, existenziell für die FDP, gefährlich für DIE LINKE, verunsichernd für die CDU und ernüchternd dauerzweitklassig für die Sozialdemokratie, verweist jedoch auch auf hintergründigere Verschiebungen als sie dem typischen Auf-und-Ab der Parteienwahldemokratie entsprächen. Auch wenn mit dem Fukushima-GAU und den Auseinandersetzungen um „Stuttgart 21“ der Humus für den Wahlerfolg der Grünen besonders gut war, so verdient die Entwicklung der Grünen, aber auch DER LINKEN in den letzten Jahren besondere Beachtung.

Es gibt eine grüne Herausforderung, an der die soziale Linke und insbesondere DIE LINKE nur unter dem Preis des eigenen Bedeutungsverlustes ignorant vorbeiziehen kann. Nur ein konstruktiv-kritischer Dialog mit dem grünen Milieu wird den Boden für ein mögliches linkes – sozialökologisches Hegemonieprojekt bereiten. Um es deutlich zu formulieren: Es geht dabei explizit nicht um willfährige Anpassung an die grüne Partei und ihre teilweise problematische Politik, etwa in der Außen- oder Haushaltspolitik, sondern darum, sich in eine im Entstehen begriffene neue Hegemonie – die wir vorläufig als öko-kreative bezeichnen wollen - einzuschreiben und sie sozial zu interpretieren. Es geht um die Frage, wer die aus der neuen hegemonialen Konstellation sich ergebene Gestaltungsoptionen umsetzen wird. Ein Mitte-Unten-Bündnis, das seinen politischen Ausdruck in der Kooperation von LINKEN und Grünen findet oder aber eine Mitte-Oben-Bündnis, das politisch auf eine schwarz-grüne Option hinausläuft. Eine Frage, die insbesondere unter sozialen Gesichtspunkten nicht egal ist.

Postneoliberales Akkumulationsregime

Die neoliberale Hegemonie, die vor rund 30 Jahren die Hegemonie des sozialpartnerschaftlichen und auf ungehemmten Ressourcenverbrauch ausgelegten industriellen Kapitalismus abgelöste, neigt sich zu ende. Zum Einen desavouierte die Bankenkrise 2008 den Neoliberalismus endlich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Die Saga von den Selbstheilungskräften des Marktes unter Abwesenheit staatlicher Regulierung blamierte sich im politischen Theater. Zum Anderen steht der Atom-GAU in Fukushima, in einem der führenden hochindustrialisierten Länder für das Ende der atomaren und fossilen Energiewirtschaft. Allgemeinplatz ist geworden: Wenn schon in Japan der atomare GAU nicht verhindert werden kann, wo dann? Die Grenzen der Beherrschbarkeit der Technik für Mensch und Umwelt zeigen sich in einem Land, das technische ebenso wie menschliche Selbstbeherrschung quasi zum eigenen Markenzeichen erklärt hat. Dass es „so“ nicht mehr weiter gehen kann, weder marktradikal-neoliberal noch atomar-fossil, leuchtet im Angesicht des mühsam abgewendeten finanziellen GAU ganzer Volkswirtschaften ebenso ein wie im Angesicht der nur vielleicht abgewendeten Verstrahlung ganzer Regionen bis zur dauernden Unbewohnbarkeit. Es sind die untrüglichen Anzeichen eines Wechsels des kapitalistischen Akkumulationsregimes.

Nun sind wir Zeugen einer im Werden begriffenen neuen Hegemonie, die an die Stelle der neoliberalen Hegemonie zu treten scheint und auf ein neues Akkumulationsregime reagiert. Zwar können wir das neue Akkumulationsregime noch nicht hinreichend erkennen, dennoch zeichnen sich die Umrisse bereits ab:

  1. Die Digitalisierung und Computerisierung ermöglichen im Bereich der wissensbasierten Produktionsprozesse zunehmend flachere Arbeitsprozesse. Gleichzeitig wächst in diesem Bereich zunehmend das Unbehagen gegenüber den Patent- und Urheberrechten, die die Produktion von Wissen und den Wissensaustausch beschränken. Beispielhaft genannt seien hier nur Softwarepatente und Open Source, Urheberrechte in der Musikindustrie, Feihandelsabkommen (ACTA) und Medikamentenpatente (AIDS-Medikamente). Es zeigt sich ein Bild vernetzter Arbeitsprozesse und ein kritisches Verständnis des Eigentumsrechts.
  2. Die Externalisierung der ökologischen Folgekosten war ein Wesensmerkmal des ressourcenverschwendenden Industrie-Kapitalismus. Der Neoliberalismus reagierte darauf mit marktförmigen Strategien und dem Handel von Emissionsrechten. Heute ist evident, dass auch dieser Weg nicht in der Lage ist, die ökologische Krise zu bewältigen. Es bedarf eines gesellschaftlichen Umsteuerns. Nach Fukushima wird das Akkumulationsregime ein postatomares und postfossiles sein. Es öffnet die Chance auf regionale Formen der Energieerzeugung. Große zentrale Kraftwerke werden es schwerer haben. Auch bei der Energiegewinnung ist das Bild flacherer in kommunaler Hand befindlicher Produktionsprozesse schemenhaft erkennbar.
  3. Die Bankenkrise 2008 mit ihren absurden Rettungsschirmen läutete schließlich das Ende des neoliberalen Paradigmas ein. Die Ideologie des glückseeligen Marktes entpuppte sich als religiöser Fundamentalismus. Staatlichen und gesellschaftlichen Lösungskonzepten wird seitdem wieder mehr zugetraut. Auch hier zeichnet sich ein neues marktkritisches Paradigma ab.
Das neue Akkumulationsregime zeigt sich auch in der alten industriellen Massenproduktion. Durch die Verknüpfung der klassischen Produktionsmethoden mit den wissens- und computerbasierten Kenntnissen soll die problematische Expansion dieser Industrien zugunsten eines nachhaltigen, qualitativ hochwertigen Wirtschaftens, am bekanntesten mittels erneuerbaren Energien, modernisiert und damit ökologisch verträglich umgebaut werden. Fristete die neue Betriebsweise noch in den 1990er Jahren ein Nischendasein und gegen wirtschaftmächtige Widerstände der „klassischen“ Industrien ankämpfen, so hat jetzt ein förmlicher Run auf den „Umstieg“ in die neuen „grünen Technologien“ eingesetzt. Es ist nicht nur Image, dass sich die Dinosaurier-Automobilhersteller mit ihren Rußkarossen geben. Sie haben vielmehr den sich restrukturierenden Markt der Produktion mit wissenbasierter Nachhaltigkeitstechnologie erkannt und versuchen nun, um nicht selbst als Dinosaurier der alten Betriebsweise abgehängt zu werden, sich auf den neuen Märkten festzusetzen. Zwar gibt es aktuell noch starke Gegenkräfte und mächtige alte Kapitalfraktionen, die Idee einer Energiewende hin zu Erneuerbaren aber ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Gestritten wird nur noch über Übergangsszenarien. Nicht nur die Energieversorgung, ein grundlegender technologischer Wandel, eine vierte industrielle Revolution hin zu besserer Ressourcenausnutzung (Effizienz), hin zu Kreislaufwirtschaften und damit zu mehr Verträglichkeit technischer mit natürlichen Kreisläufen (Konsistenz) soll einen riesigen Innovations- und Investitionsschub auslösen (vgl. Schachtschneider 2011).

Träger der neuen Hegemonie

Der sich abzeichnende Wechsel des Akkumulationsregimes korrespondiert mit einem „Ergrünen“ der Köpfe – einer neuen Hegemonie, die hier nicht die machtpolitische Vorherrschaft meint, wie sie etwa die Grüne Partei in Baden-Württemberg erreicht hat, sondern einen zivilgesellschaftlichen Konsens darüber, was erstrebenswert ist. Kennzeichen einer hegemonialen Stellung ist nach Gramsci die Etablierung einer moralischen, intellektuellen und politischen Führung in der Gesellschaft, um einen kollektiven Willen oder eine bestimmte allgemeine Weltsicht herauszubilden und zu reproduzieren (Lang/Weick 2003, S. 10). Das betrifft auch Fragen des Lebensstils und der Verhaltensmuster, genauso wie damit assoziierte politische Reformforderungen und Visionen. Es zeichnet sich ein Netzwerk ab, das sich kulturell aus dem aufgeklärten und ökologisch bewussten Lebensstil eines sozialliberalen Bürgertums zusammensetzt, das die Forderungen nach einer ökologischen Modernisierung und der Vision eines Green-New-Deal oder eines green capitalismus trägt. Dafür generiert es Zustimmung bis weit in das konservativ-liberale Lager.

Seine bürgerschaftliche Unterfütterung findet die aufscheinende Hegemonie des grün-sozialliberalen Lagers in den umweltbewussten, gut gebildeten, gut verdienenden Beamten und Selbstständigen mittleren Alters in den Großstädten. Das verwundert insofern nicht, weil dieses soziale Milieu am ehesten die materiellen und ideellen Voraussetzungen dafür mitbringt, von der neuen post-neoliberalen Betriebsweise zu profitieren: Die Grünen rekrutieren ihre AnhängerInnen fast ausschließlich unter Menschen mit Abitur. Heute liegt der Anteil der Grünen-AnhängerInnen unter den Beamten bei 20% und bei Selbstständigen und Angestellten bei immerhin 18%. In ländlichen Regionen haben die Grünen – Natur hin, Umweltschutz her – weiterhin Schwierigkeiten, während sie bei den in Ausbildung befindlichen (vor allem: Studierenden) auf Zustimmungsraten bis zu 23% kommen. Zudem findet sich mittlerweile die höchste Zustimmungsrate für die Grünen in der höchsten Einkommensquintile (16%), gefolgt von der zweithöchsten (12%), um bei den einkommensärmeren Schichten auf 8-9% zu fallen. Seit Jahren ist der Anteil der RentnerInnen (3%), ArbeiterInnen (5%) und Arbeitslosen (7%) bei den Grünen-UnterstützerInnen eher stagnierend oder rückläufig, jedenfalls unterdurchschnittlich repräsentiert. Die Verortung der Grünen im gutbürgerlich-situierten Milieu erklärt auch, weshalb die Hartz-IV-Kritik zwar die sozial Ausgegrenzten aus der grünen Anhängerschaft zur LINKEN getrieben hat, dennoch die Klage, die Grünen hätten „ihre Grundsätze verraten“, angesichts der veränderten grünen Wahlklientel notwendig abprallt, mangels Rücksichtnahme somit Grünen-seitig allenfalls desinteressiert zur Kenntnis genommen wird (vgl. Kroh/Schupp 2011).

Die Unterstützung für die Grünen verweist auf die – entweder vermuteten oder tatsächlichen – Profiteure der neuen öko-effizenzbasierten marktwirtschaftlichen Betriebsweise des Kapitalismus: die hochgebildeten urbanen, finanziell abgesicherten, durchaus mittlerweile staatsnah angesiedelten, politisch an vor allem formaler (Mitreden) und informationeller (Informiertsein/Transparenz) Teilhabe ausgerichteten bürgerlichen Mittelschichten. Gegen dieses Netzwerk wird keine andere gesellschaftspolitische Orientierung mehr durchsetzbar sein, jede Politik (selbst die konservative!) wird zumindest auf die passive Duldung durch das grüne Milieu angewiesen sein. Das zeugt von der Stärke des Grünen-Milieus, in dem sich selbstbewusste Bürger organisieren, die in Produktion (erneuerbare Energien) und Ideologieproduktion (z. B. Bildung, Medien, Wissenschaft) wichtige Machtpositionen einnehmen.

Das zeugt aber gleichzeitig von der Schwäche anderer Spektren, die nicht auf starke hegemoniepolitische Ressourcen zurückgreifen können. Dadurch entsteht eine neue Hegemoie, die die politischen Anforderungen aus Wissensgesellschaft mit der Energiewende miteinander verbindet und die wir vorläufig öko-kreative nennen. Dieser öko-kreativen Hegemonie muss sich die soziale Linke stellen und sich entscheiden, ob sie sich auf sie konstruktiv-kritisch bezieht (was nicht affirmativ sein muss!) und sie nach links radikalisiert oder sie einem Mitte-oben-Bündnis überlässt.

Der Hegemoniewechsel …

Während das grüne Milieu einen neuen Lebensstil entwickelte, verteidigte die SPD noch bis in die 1990er Jahre hinein den partnerschaftlichen und ressourcenverschwendenden Konsens des Industrie-Kapitalismus. Mit dieser Politik scheiterte sie in ihrer Regierungszeit, als sie ohne eigenes Konzept dazu verdammt war, Vollstreckerin der neoliberalen Prämissen zu werden. In der LINKEN sammelten sich nun jene enttäuschten SozialdemokratInnen, die weiter an der sozialpartnerschaftlichen Idee festhalten wollten. Solange die SPD regierte und sich eine neue postneoliberale Hegemonie noch nicht abzeichnete, reichte der LINKNE diese Orientierung, um hohe Zustimmung bei den VerlierInnen der neoliberalen Politik, den Opponenten aus dem kritischen Bildungsbürgertum und von den enttäuschten abstiegsbedrohten ArbeiternehmerInnen zu erhalten. Die LINKE wurde anstelle der SPD als Bewahrerin der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen. Was sich zwar auf den ersten Blick als hohe Zustimmung für die Politik der neuen linken Partei darstellte, war damit in Wirklichkeit Ausdruck des Niedergangs der die alte fordistische Hegemonie tragenden Milieus bzw. ihrer Fähigkeit, eine gesellschaftliche Hegemonie herzustellen.

DIE LINKE ist auf diese Weise ein tragisches Produkt der neoliberalen Hegemonie und des Unvermögens der Sozialdemokratie, darauf eine Antwort zu entwickeln. Sie ist zugleich der letzte erfolgreiche Aufstand der durch den Neoliberalismus Deklassierten. Unter den Bedingungen öko-kreativen Hegemonie, deren kultureller Träger vor allem ein sozialökologisches Bildungsbürgertum ist, wirkt eine Politik, die aus der Zeit des Fordismus kommt, jedoch zunehmend unmodern, weil man ihr anmerkt, dass sie die ökologischen und lebensweltlichen Fragen (z. B. individualisierte Lebensläufe, Pluralität der Lebens- und Beziehungsformen, Bedeutungszunahme der Wissensproduktion) nicht konzeptionell integriert, sondern nur als Abweichung von ihrem Leitbild fordistischer Normalarbeits- und Lebensverhältnisse beantwortet.

… und seine Herausforderung.

Die einzig aussichtsreiche Möglichkeit für die soziale Linke in der BRD besteht daher aktuell darin, die Herausforderung anzunehmen, die durch die Herausbildung der neuen Hegemonie entsteht. Das heißt aber gerade nicht, sich willfährig an die neuen hegemonialen Milieus zu assimilieren. Im Gegenteil: Es geht darum, einerseits Bündniskonstellationen auszuloten. Und diese gibt es. Zu Recht hat Pascal Beucker darauf hingewiesen, dass es nicht nur eine Klassen-, sondern angesichts der Vernichtbarkeit allen menschlichen Lebens, ob durch die Zerstörungskraft unregulierter industrieller Massenproduktion oder durch Kriege, auch eine Gattungsfrage gibt, die soziale und ökologische Linke einen kann (Beucker 2011). Zudem seien alle skeptischen Verrats- und VerschwörungstheorikerInnen darauf verwiesen, dass linke Vorschläge für Klassen- und Schichtenbündnisse durchaus auch in der Geschichte, beispielsweise in der Theorie des Staatsmonopolitischen Kapitalismus in Form der antimonopolistischen Demokratie, nicht eben Ausnahmen waren.
Andererseits muss die Linke Konflikte in das grüne Milieu hineintragen und Druck machen: Ist eine es menschenrechtliche Außenpolitik, jede Diktatur mit militärischen Mitteln im unter Bruch des Völkerrechts zu bombardieren? Wer zahlt die Investitionen für den ökologischen Umbau? Wird erneuerbare Energie oder ökologisch angebaute Lebensmittel auch für BezieherInnen geringer Einkommen bezahlbar? Ist der Schuldenabbau wichtiger oder gute Schulen und Universitäten für alle? Soll der ÖPNV mittels erhöhter Steuern auf hohe Einkommen, Erbschaften und Vermögen gefördert werden?
Tatsächlich steckt in dem sich abzeichnenden post-neoliberalen Akkumulationsregime erheblicher sozialpolitischer Sprengstoff: Beispielsweise hat zwar das Erneuerbare-Energien-Gesetz zum Durchbruch erneuerbarer Energien entscheidend beigetragen, trifft aber sozial Schwache überproportional. Gleiches gilt für die „Ökosteuer“: Sie belastet Arme am meisten, weil die Einnahmen zum Teil zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet werden, wovon jedoch besserverdienende sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am meisten profitieren. Geringverdiener und Kleinselbständige jedoch unterm Strich dazuzahlen (vgl. Schachtschneider 2011). Hier ist es Aufgabe der LINKEN einzugreifen – und anzugreifen: Ihre Kraft muss sie dafür einzusetzen, dass die fortschrittliche neue Betriebsweise auch zu sozialpolitischen Fortschritten und nicht etwa zur Verschärfung sozialer Polarisierung führt.
Die neue öko-kreative Hegemonie annehmen bedeutet also für die soziale Linke einerseits, eine wirklich neue soziale Idee zu entwickeln, die die Anforderung des notwendigen ökologischen Wandels und die Veränderungen im Akkumulationsregime durch die Bedeutungszunahme der Kreativ- und Wissensproduktion integriert, als auch andererseits das ökologisch-sozialliberale Milieu bewusst mit den sozialen Spaltungslinien zu konfrontieren, welche die neuerliche grüne Prosa zum „Allgemeinwohl“ unterlaufen. Einen solchen Zugang zur neuen Hegemonie bedeutet nämlich auch eigene Mobilisierungsressourcen zu schaffen, die in der Lage sind, Druck zu entfalten. Paradoxerweise muss das konstruktiv-kritisch Verhältnis zur öko-kreativen Hegemonie damit einhergehen, dass das eigene Standbein – nämlich die linkspopulistische Mobilisierung gegen „die da oben“ und das Bündnis mit sozialen Bewegungen – stabilisiert wird. Es ist ein Gerücht und Phantasma alteuropäischer Berufspolitik, dass parteipolitische Strategien immer möglichst „einheitlich“ und „nicht-widersprüchlich“ funktionieren müssen. Wieso also nicht sozialökologischen Umbau mit einer populistischen und bewegungsorientierten Politik so kombinieren?

Milieus, Interessen und Parteien.

Vereinfacht betrachtet ist die soziale und die ökologische Linke in der BRD gespalten; ihr Verhältnis ist von Misstrauen und lebensweltlicher Fremde geprägt. Beispielhaft zeigt sich dies im Verhältnis von Linkspartei und Grünen: Die einen rümpfen die Nase über Bionade und Wellness-Lifestyle im sozialliberalen Bürgertum, die anderen erheben den Linkspopulismus zum Schimpfwort und wollen mit den Exkludierten und Enttäuschten nichts zu tun haben.
Sieht man einmal von der hohen Zustimmung beider Parteien im Milieu der kritischen Bildungseliten ab (vgl. Neugebauer 2007, S. 103), ist eine notwendige Vorbedingung für eine solche konstruktiv-kritische Bezugnahme die Anerkennung, dass es sich bei ihnen um grundverschiedene Formationen handelt, die notwendig fremdeln. Bisher ist das Verhältnis dadurch geprägt, dass sich die Milieus gegenseitig für das bezichtigen, was sie sind: Die Grünen werden ob ihrer Bürgerlichkeit beschimpft, DIE LINKE wegen ihres Linkspopulismus. Beides ist unproduktiv. Tatsächlich besteht die Rolle der Grünen darin, das sozialliberale Bürgertum zu repräsentieren, und es ist Aufgabe der Linkspartei, den Unmut der Exkludierten und Enttäuschten „gegen die da oben“ zu mobilisieren. Daran wird sich nichts ändern. Erhalten bleibt auch der Konflikt in der „Friedensfrage“, die für DIE LINKE existenziell ist.
Um die Differenz zwischen beiden Parteien zu verstehen, sind Verweise auf „objektiv“ nicht vereinbare Interessenslagen zu einfach. Solche Abklatsch-Theorien zur Präferenzbildung argumentieren, dass aufgrund unterschiedlicher sozio-ökonomischer Lage keine politischen Schnittmengen entstehen: Trotz sozialer Rhetorik optierten die Grünen-Wähler im Zweifel für ihre bürgerlichen und die LINKEN-Wähler für ihre existentiellen Interessen. Solche Abklatsch-Theorien verkennen jedoch zentrale Einsichten marxistischer Klassenforschung: Denn auch unmittelbare Interessen müssen erst einmal politisch organisiert und artikuliert werden. Nur so lässt sich erklären, dass das Bürgertum einen Staat und politische Parteien braucht, denen es gelingt, bürgerliche Interessen aggregieren. Selbst der negative Volksentscheid zur Gemeinschaftsschule in Hamburg kann nicht als Beleg für die notwendig leistungschauvinistische Orientierung der Grünen-Wähler herhalten: Das Problem war, dass es den Grünen nicht gelungen ist, in ihre Milieus zu vermitteln, dass die Gemeinschaftsschule für eine wissensbasierte Betriebsweise, die auf eine enorme Anzahl hochqualifiziert Menschen aus allen Schichten angewiesen ist, die sinnvollere Option ist. Das größere Problem war zudem, dass es der sozialen Linken nicht gelungen ist, ihr Klientel, die von der gläsernen Decke des mehrgliedrigen Schulsystems betroffenen unteren sozialen Schichten, also diejenigen, die eigentlich ein Interesse an einer Gemeinschafsschule haben sollten, an die Urnen zu bringen.

Der Red-Green-Deal

Die Frage, ob sich ein neues Akkumulationsregime durchsetzt, welches Regulationsregime ihm entsprechen wird und welche politische Formation ihm seinen Stempel aufdrückt, ist noch nicht entschieden. Für die Linke – als Partei und Bewegung – kommt es daher darauf an, Konzepte zu entwickeln, die sich in eine neue Hegemonie einschreiben können. Für die Linkspartei ist deshalb eine neue Positionsbestimmung angezeigt. Sie muss sich – inhaltlich – entscheiden, ob sie die grüne Herausforderung annimmt oder weiter das bekannte Medley aus dem Jahr 2005 anstimmt (Mindestlohn, Rente, Frieden, Hartz IV).

Dabei bleibt die LINKE, schon aus Gründen der Stärkung der eigenen Mobilisierungskraft darauf angewiesen, dem eigenen Milieu eine Vision des sozialen und kulturellen Aufstiegs zu unterbreiten. Weil sie selbst nicht Teil des rot-grünen Lagers ist, hat sie zunächst nur die Möglichkeit, bei den Hegemoniekämpfen, die die Durchsetzung einer neuen Regulationsweise immer begleiteten, mitzuwirken. Statt sich einfach nur auf den alten fordistischen Klassenkompromiss zu beziehen, ist es ihre Aufgabe in diesem Hegemoniekampf, einen ökosozialen Klassenkompromiss mit zu erstreiten, den wir in bewusster Abgrenzung zum sozial unbestimmten Green New Deal, aber unter Betonung und Inklusion der ökologischen Frage, Red-Green-Deal (vgl. Kipping/Lohmeier 2010) nennen wollen, den wir kurz an wenigen Beispielen konkretisieren:

  1. Die Kosten des ökologischen Umbaus müssen diejenigen zahlen, die die Mittel dazu haben und die bisher durch ihren verschwenderischen Lebensstil die Klimakatastrophe verantwortet haben. Das bedeutet, dass die Länder des industrialisierten Nordens (hier vor allem die USA und die EU) erhebliche Mittel aufbringen müssen, um Länder des globalen Südens bei der Entwicklung einer ökologisch verträglichen Ökonomie zu unterstützen.
  2. Der Energiewechsel muss sozial und demokratisch ausgestaltet sein, bürgernahe Kraftwerke statt große Energieversorgungsunternehmen, eine preiswerte oder kostenfreie Grundversorgung bei steigenden Preisen bei überdurchschnittlichem Verbrauch.
  3. Eine ökologisch-soziale Steuerreform, die aus der Umsatzsteuer eine Verbrauchsteuer nach ökologischen Kriterien macht, die also Produkte, die in der Herstellung oder im Verbrauch energieintensiv sind, stärker besteuert und andere entlastet und gleichzeitig hohe Einkommen und Vermögen zur Finanzierung und zum sozialen Ausgleich heranzieht.
  4. Eine Sozialpolitik, die dem Dreiklang folgt: radikale Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn sowie der Garantie eines armutsfesten, sanktionsfreien und existenzsichernden Einkommens. Sie würde sowohl den Anforderungen der modernen Erwerbsbiografien der Wissensgesellschaft als auch individuellerer Lebensentwürfe gerecht, würde nicht mehr das patriarchale Normalarbeitsverhältnis zum Maßstab nehmen wird und wäre zudem Bürgerrechtskonform.
  5. Umbau und Konversion ökologisch schädlicher Produktionen in ökologisch sinnvolle führt nicht zur gefürchteten Massenerwerbsarbeitslosigkeit durch eine schrumpfende Wirtschaftskraft. Ökologischerer Konsum ist auch ohne Verzicht denkbar: Ökologische Wohnprojekte statt Flächen zersiedelnden und versiegelnden Einfamilienhäuser, Carsharing, ein kostenfreier und gut ausgebauter ÖPNV oder ein gemeinsamer Technikpool wären die Stichwörter.
Während die SPD kümmerlicher Sachwalter traditioneller Interessen des alten Industriekapitalismus ist, haben LINKE und Grünen hingegen komplementäre politische Anliegen. DIE LINKE streitet für soziale Gerechtigkeit, die Grünen für eine nachhaltige Umweltpolitik. Beide Themenbereiche ergänzen sich. LINKE und Grüne können sich gegenseitig in ihrem Bereich unterstützen und für Akzeptanz des Anliegens der Anderen im eigenen Milieu sorgen. Schafft es DIE LINKE, klug, kämpferisch und konsequent mit der Idee eines Red-Green-Deal nicht nur „ihre Milieus“ zu begeistern, sondern auch die „grünen“ Milieus zu infizieren, hat sie eine beste Chance auch ihre sozialen Anliegen in die neue Hegemonie einzuschreiben. Gelingt ihr dies, braucht sie sich um ihre Wahlchancen keine Sorgen mehr machen – aber das wäre dann sogar nebensächlich.

Unser Diskussionsbeitrag erschien zunächst in der Zeitschrift Sozialismus Heft 5/2011.

Literatur:

Beucker, Pascal (2011): Es reicht nicht, wenn Linke nur eine Antwort auf die soziale Frage geben. Veröffentlich im Internet: https://www.prager-fruehling-magazin.de/article/660. [21.4.2011].

Kipping, Katja / Lohmier, Thomas (2010): Lieber red als new - Statt grüner Kapitalismus: Plädoyer für einen Red-Green-Deal als Crossover-Projekt der postneoliberalen Linken. Veröffentlicht im Internet: http://www.freitag.de/positionen/1016-lieber-red-als-new [21.4.2011].

Kroh, Martin / Schupp, Jürgen (2011): Wochenbericht des DIW Berlin 12/2011, Bündnis 90/Die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei?. Veröffentlicht im Internet: http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.369945.de [21.4.2011].

Lang, Rainhart / Weick, Elke (2003); Moderne Organisationstheorien, Band 2. Wiesbaden

Neugebauer, Gero (2007); Politische Milieus in Deutschland – Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn.

Schachtschneider; Ulrich 2011: Freiheit, Gleichheit, Ökologie: Veröffentlich im Internet: http://www.forum-ds.de/article/2022. [21.4.2011].

Folgt dem Neoliberalismus eine öko-kreative Hegemonie?

Beitrag von Redaktion prager frühling, geschrieben am 09.05.2011

Die Redaktion des prager frühlings hat in Heft 5/2011 der Zeitschrift Sozialismus ihre Thesen zur öko-sozialen Paradoxie nochmals präzisiert und erweitert. Der Beitrag wurde im Rahmen eines Schwerpunkt zur Strategiedebatte der LINKEN in dem Magazin veröffentlicht. Für unsere LeserInnen haben wir unseren Beitrag jetzt auch in der Lesebar auf dieser Website veröffentlicht.

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