Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

raus aus den sackgassen

geschrieben am 28.02.2011

Die institutionelle Linke in der Europäischen Union steht gegenwärtig ratlos da. Die Sozialdemokratie erlebt eine historische Krise. Die linkssozialistischen Parteien spielen praktisch keine Rolle. Im Gegenzug siegt der Rechtspopulismus in vielen Mitgliedstaaten. Offensichtlich sind die bisherigen europapolitischen Ansätze der europäischen Linken erfolglos: Selbst nach der Krise sitzt der neoliberale Stabilitäts- und Wachstumspakt fest im Sattel. Die EU-Verfassung ist als Verfassungsprojekt gestartet und schließlich nach abschlägigen Volksabstimmungen als Vertrag gelandet. Linke Kritiker_innen der EU-Verfassung und ihre Befürworter_innen sind kläglich gescheitert. Die Sozialdemokratie und die Grünen versprachen sich viel vom Verfassungsvertrag, ohne zu berücksichtigen, dass eine Ausrichtung auf „offene Marktwirtschaft“ gegenwärtig in der eigenen Klientel nicht mehrheitsfähig ist. Statt für Veränderungen zu kämpfen (bspw. für die Einführung einer Sozialklausel), beschränkte man sich auf Mauscheleien in der Berufspolitik. Aber auch die Kritiker_innen sind gescheitert. Sie konnten keine progressiven Veränderungen im Vertragswerk bewirken. Noch immer ist die europäische Linke in diesen strategischen Sackgassen gefangen: Die einen reden sich die Realität der europäischen Institutionen schön. Die anderen bewegen sich in einem politischen Kontinuum, das sich von der abstrusen Idee einer Neugründung der EU bis zu Re-Nationalisierungsphantasien erstreckt. Entrückt auch die Gewerkschaftslandschaft: Der europäische Gewerkschaftsbund demonstriert für mehr Wachstum statt die neoliberale Ausrichtung der EU-Politik zu attackieren.

Diese offensichtliche Handlungsunfähigkeit ist angesichts der zentralen Herausforderungen der europäischen Politik fatal. Erstens ist der neoliberale Euro-Kapitalismus nicht geschwächt, sondern gestärkt aus der Wirtschaftskrise hervorgegangen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist verschärft worden. Geldwertstabilität und das Mantra der Haushaltsdisziplin halten die Europäische Union gegenwärtig zusammen. Die Kehrseite ist die soziale Krise: Sozialabbau, Lohnkürzungen und Prekarisierung. Zweitens erodiert der liberale Konsens. Der Rechtspopulismus pfeift auf menschenrechtliche Standards. Nicolas Sarkozy schiebt die Roma ab. Und die Europäische Union selbst begegnet den Flüchtlingen aus Nordafrika mit paramilitärischen Einheiten. In dieser Situation ist es keine Perspektive sich zum Anhängsel neoliberaler Wettbewerbspolitik zu machen, welche die soziale Krise verschärft. Umgekehrt ist eine Neugründung der EU, wie sie etwa Teile der LINKEN verfechten, strategischer Wahnsinn: Das Resultat wäre eine Institutionenordnung, die nur noch auf Neoliberalismus und einer gestärkten politischen Rechten beruht, denn das ist das gegenwärtige Kräfteverhältnis in Europa.

Es stellt sich also die Frage, wie eine Handlungsstrategie aussehen könnte, die radikal und realistisch ist. Eine Handlungsstrategie, welche eine radikale Kritik an der neoliberalen Ausrichtung der Binnenmarktintegration popularisiert und gleichzeitig politische Handlungsfähigkeit herstellt. Dazu einige Vorschläge:

1. Stabilitäts- und Wachstumspakt durch einen sozialen Stabilitätspakt ersetzen!

Es ist eine zentrale Aufgabe der europäischen Linken, den Stabilitäts- und Wachstumspakt durch einen sozialen Stabilitätspakt zu ersetzen, der Kriterien des sozialen Ausgleichs in den Mittelpunkt stellt (siehe auch Beitrag von Björn Hacker). Hier kann die Kritik an der neoliberalen Ausrichtung der Binnenmarktintegration direkt mit der Forderung nach einer politischen Alternative verbunden werden.

2. Für eine europäische Verfassungspolitik!

Der Lissaboner Reformvertrag ist eine Realität in der Europäischen Union. Statt sich auf eine nihilistische Strategie zu beschränken, die ähnlich der Grundgesetz-Politik der KPD in den 1950er Jahren wiederholt, dass der Vertrag keine Grundlage ist und Karthago im Übrigen zerstört werden muss, gilt es um eine progressive Nutzung der politischen Spielräume zu ringen. Es geht um Kämpfe um die Anwendung und Interpretation des europäischen Rechts.

3. Europäische Bürgerinitiative: Für eine Sozialklausel!

Das neue Vertragswerk der EU sieht die Einführung einer europäischen Bürgerinitiative vor. Sie ist freilich schwach ausgestaltet und muss hohe Hürden nehmen. Trotzdem gilt es, sie von linken Kräften zu besetzen und für gemeinsame Kampagnen zu nutzen. Eine Möglichkeit wäre, sofort eine europäische Kampagne für die Einführung einer Sozialklausel in den Verträgen in die Wege zu leiten und zivilgesellschaftliche Bewegung für solch ein Projekt zu initiieren.

4. Mit dem europäischen Recht gegen Rassismus und Rechtspopulismus!

Die Linke wird sich in den nächsten Jahren darauf einstellen müssen, mit dem europäischen Recht im Rücken gegen die Mitgliedstaaten Politik zu machen. Denn jenseits der Kritik am neoliberalen Konstitutionalismus muss sie den um sich greifenden Rassismus und Rechtspopulismus mit den europäischen Grund- und Menschenrechten konfrontieren. Zugestanden: Eine Strategie gegen Rechts muss natürlich breiter aufgestellt sein. Nicht zuletzt ist die feste Verankerung von rassistischen Ressentiments auch ein Ausdruck der sozialen Krisenphänomene. Trotzdem sollte die Linke in den politischen Institutionen mit dem europäischen Recht Politik machen. Dazu gehört z.B. der Einsatz für Individualklagerechte gegen Mitgliedsstaaten, öffentliche Institutionen und private Akteure, welche Grund- und Menschenrechte mit Füßen treten oder dies dulden.

Escape and Delete!

Beitrag von Uwe Schaarschmidt, geschrieben am 28.02.2011

Den Doktortitel musste Karl Theodor zu Guttenberg nun also abschreiben. Hahaha! Gibt es eigentlich noch Witze über Deutschlands Kriegsminister, auf die keiner gekommen ist? Dabei ist die ganze Sache gar nicht lustig. Dass BILD Deutschlands momentan penetrantesten Lügner in Schutz nimmt, auch nicht – allerdings verwundert es keineswegs. Lügner unter sich. Dass Guttenbergs Popularität im Volke ungebrochen sei, habe ich auch irgendwo gelesen. Das kann man dem Volke nicht übel nehmen, denn mehrheitlich kennt es sich im Wissenschaftsbetrieb einfach nicht aus – und dies sei ausdrücklich nicht als Vorwurf gemeint.

Nachdem aber nun die Wissenschaftsgilde geräuschvoll auf die Barrikaden geht und selbst die Bundesministerin für Bildung und Forschung gesteht, sich nicht nur heimlich für Guttenberg zu schämen, dürfte klar sein, dass er als Minister nur noch in der Zwischenablage liegt und bald an einem stilleren Ort wieder eingefügt wird. Was also gibt es noch zu sagen, zum adeligen Strebersöhnchen? Hm. Vielleicht sollte er Nägel mit Köpfen machen, für seinen gesamten Adels-Zinnober einfach die Delete-Taste benutzen und damit klarstellen, dass er fürderhin auf alles verzichtet, was mehr scheinen lässt, als vorhanden ist. Immerhin bleibt er ja wenigstens Stabsunteroffizier d. Reserve.

Wann wir schreiten Seit an Seit …

Beitrag von Wolfgang Gehrcke, geschrieben am 07.02.2011

prager frühling begleitet die Programmbebatte der LINKEN mit einem Dossier. Nach Beiträgen von Bodo Ramelow, Cornelia Möhring, Caren Lay veröffentlichen wir hier einen Auszug aus dem im März 2011 im Papyrossa-Verlag erscheinenden Buch zur Programmdebatte von Wolfgang Gehrke.

Die Linke gibt sich ein Programm und zuallererst tanzen Chiffren durch den realen wie virtuellen Blätterwald. In den Vordergrund drängen sich Parolen wie „rote Haltelinien“, „transformatorisches Projekt“, „Mosaik-Linke“, „Klassen-Linke“, während das „strategische Dreieck“ aus Widerstand – Reform – Systembruch in die zweite Reihe zurück gefallen ist. Das neue Grundsatzprogramm wird wichtig, wenn es aus einem ernsthaften, offenen Meinungsstreit erwächst, in der Sache hart, verbindlich im Ton. Eine solche Kontroverse setzt voraus, die eigene Intention nicht hinter Schlagworten zu verbergen, sondern sie klar und deutlich auszusprechen, um sie kenntlich zu machen. Das ist übrigens auch eine Frage der innerparteilichen Demokratie; nicht jedes Mitglied ist geübt, verklausulierte Strömungschiffren zu entziffern.

Gemeinsamkeiten, Interessen, Strömungen

Die Gemeinsamkeiten waren groß genug, um DIE LINKE zu gründen. Sie sollten groß genug sein, um ihr ein Programm zu geben. Dabei ist DIE LINKE eine Partei mit Flügeln und Richtungen, mit Strömungen, wohl auch Fraktionen. Gerade deshalb braucht sie eine überzeugende gemeinsame Handlungsgrundlage als starke verbindende Kraft. In der PDS war die Akzeptanz von Flügeln und Strömungen Ausdruck des Bruchs mit dem vom demokratischen Zentralismus geprägten Parteiverständnis der SED. Daraus resultiert eine hohe Sensibilität gegen Versuche, die Rechte der Parteimitglieder zu schmälern oder eine Linie von oben nach unten durchzustellen, manchmal bis an den Rand der Beliebigkeit, wenn jegliche Forderung nach Einheitlichkeit und zeitlichem Hintanstellen von Differenzen, etwa in Wahlkämpfen, schnurstracks in Beziehung gesetzt wird zu alten, gar stalinistischen Methoden.

Flügel und Strömungen sind Ausdruck unterschiedlicher politischer Meinungen, Haltungen und sozialer Erfahrungen, aus denen je eigene Interessen folgen. Diese unterschiedlichen Meinungen, Erfahrungen, Interessen gibt es in jeder Partei, die mehr als drei Mitglieder hat. Deshalb ist es ein völlig unsinniges Unterfangen, Strömungen, Flügel überwinden zu wollen oder sie per se zu stigmatisieren, als ob sie den Spaltpilz verbreiteten oder von Natur aus selbstsüchtig und machthungrig seien. Es gibt keine Politik ohne Interessen. Aus diesem Grund entstehen Strömungen und werden immer wieder entstehen, sie können dazu beitragen, die Interessen und Meinungen, die es innerhalb der LINKEN gibt, klarer zu formulieren, sie in einen Dialog zu bringen und endlich zu Entscheidungen.

Haftungs- und Zugewinngemeinschaft

Politische Kontrahenten teilen DIE LINKE gern auf in ihren (pragmatischen) Ostteil und den (durchgeknallten) Westteil oder in diejenigen, die aus der PDS stammen, und die aus der WASG. Diese Zuordnungen stimmten nie oder zumindest stimmen sie schon lange nicht mehr. Die Flügel, die wir in unserer Partei haben, sind im Wesentlichen nicht aus der regionalen oder politischen Herkunft der einzelnen Mitglieder entstanden, sondern aus kulturellen Milieus und aktuellen politischen Überzeugungen. Der reformistische Flügel der Partei gewichtet vor allem die im Kapitalismus vorhandene innovative Seite, seine Grenzen und seine Vernichtungspotenziale hingegen benennt er kaum. Der sich als revolutionär verstehende Flügel stellt die Notwendigkeit der grundlegenden Umwälzung der Gesellschaft in den Vordergrund und macht es sich schwer, Zugang zum Neuen, das im Schoße des Alten heranwächst, zu finden. Diese gegenläufigen Blickwinkel müssen in der Programmdebatte deutlich ausgesprochen und damit diskurs- und entscheidungsfähig gemacht werden. Geschieht das nicht, kommt bestenfalls ein langweiliges und zum Teil nicht nachvollziehbares „Sowohl als Auch“ heraus, nachzulesen an verschiedenen Stellen des Programmentwurfs. Die Kunst besteht darin, die Interessen des Gegenübers verstehen zu wollen, sie in Rechnung zu stellen und darauf zu verzichten, die Anderen herausdrängen zu wollen. Alles in allem eine harte Übung in Respekt. Die kann leichter fallen, wenn man sich klar macht, dass wir uns in der Partei sowohl in einer Haftungs- als auch in einer Zugewinngemeinschaft befinden, ob wir wollen oder nicht. Reformismus und Revolution, Reformisten und Revolutionäre sind in der LINKEN keine Antagonismen, sondern zwei Pole mit einem guten Vorrat an Gemeinsamkeiten. Ihrer gegenseitigen Haftungsgemeinschaft sollten sie sich allein schon deshalb bewusst sein, weil den Einen wie den Anderen von einer interessierten Öffentlichkeit immer die vermeintlichen oder realen Verfehlungen der jeweils Anderen vorgehalten werden.

Der heutige Kapitalismus – Entwicklungsrichtungen, Alternativen

Die Programmkommission des Parteivorstandes musste entscheiden, ob sie zum Ausgangspunkt die Verkündung allgemeiner ideeller Ziele und Absichtserklärungen macht, wie z. B. „demokratischer Sozialismus als Weg, Wert und Ziel“, wie in PDS-Programmen, oder ob sie stattdessen von einer Analyse des heutigen Kapitalismus ausgeht. Die Kommission hat sich für die Analyse entschieden. Die Entscheidung der Programmkommission, mit einer Analyse der Gegenwart zu beginnen, teile ich, meine aber, dass diese Arbeit erst am Anfang steht und weiter fundiert werden muss; noch wird aus einer national begrenzten, eurozentrierten Perspektive auf unsere Gesellschaft geblickt. Dabei zeichnet sich der heutige Kapitalismus durch Entgrenzung aus, er hat die Ketten gesprengt von Raum (Nationalstaat, auch Kontinent), von Zeit (Geld, Waren und deren Fiktion werden in Sekundenbruchteilen rund um den Globus gehandelt); Entgrenzung auch von Arbeitszeiten und Verwertungsbedingungen (das Kapital eignet sich alles an, akkumuliert wird Luft, Wasser, Menschen im Ganzen, in Körper-Teilen, in kleinsten Bausteinen und ihr Wissen). Aus dem heftigen Kampf um die Neuaufteilung der entgrenzten Welt, den Zugriff auf Naturressourcen, Kontrolle von Handelswegen und Kommunikation entstehen die immer neuen Kriege. Fließend geworden sind die Grenzen zwischen Produktion und Reproduktion. Immer weitere Teile des Lebens, von Zeugung, Geburt, Gesundheit, Kinderbetreuung und Pflege haben Warencharakter angenommen.

Zu eng gefasst sind im Programmentwurf die Vorstellungen von Trägerinnen und Trägern von Alternativen ebenso wie von möglichen Bruchstellen, an denen die Herrschenden ihre Herrschaft so nicht mehr aufrechterhalten können und die Beherrschten sie nicht mehr dulden. Deutlich wird diese Schwäche nicht zuletzt daran, dass die stoffliche Seite der Produktion kaum Beachtung findet. Der rasche Umschlag von Produktivkräften in Destruktivkräfte zeigt sich vor allem in der Rüstungsproduktion und im enormen Rüstungsexport, aber nicht nur dort. Arbeit an Vernichtung kann keine Gute Arbeit sein, aber sie findet massenhaft statt, neben der Rüstungs- und Atomindustrie etwa in Teilen des agro-chemischen Komplexes, in Teilen der patentgeschützten Forschung und Produktion in den Bereichen Biologie oder Medizin. Wie gehen wir damit um? Wann und wie attackieren wir diese Arbeitsinhalte? Sie sind nicht abhängig von den Eigentumsverhältnissen. Aber öffentliches Eigentum macht es leichter, aus dieser Art Produktion auszusteigen, inkl. dem Ausstieg aus der Atomenergie, und ihre Konversion einzuleiten, um sie auf sinnvolle und nützliche Produkte umzustellen.

Das Nachdenken über die stoffliche Seite der Produktion führt zum Gebrauchswert von Waren, die bekanntlich einen Doppelcharakter haben, einen Gebrauchswert und einen Tauschwert. Der Tauschwert drückt sich im Preis aus. Den - nach Marx - „Todessprung“ auf den Markt überlebt jene Ware nicht, die nicht verkauft wird, da mag ihr Gebrauchswert, ihre Nützlichkeit noch so hoch sein, und noch so viele Menschen mögen sie dringend brauchen. Den bitter ernsten Kampf um lebensnotwendige, nützliche Produkte erleben wir am Beispiel der Medikamente für die AIDS-Therapie in Afrika. (siehe dazu auch: Sven Dehmlow: Tödliche Patente, in prager frühling #08) In diesem konkreten Beispiel könnten Regulierungen per Gesetz oder mittels Subventionen dazu beitragen, dass alle Menschen die Medikamente bekommen, die sie benötigen. Inwieweit aber können Regulierungen dieser Art das Diktat des Tauschwerts über den Gebrauchswert brechen? Wie können der „Warenfetischismus“ und, auch davon spricht Marx, die „Entfremdung“ aufgehoben werden? Sie sind in die kapitalistischen Produktionsverhältnisse eingeschrieben. Im Prozess der privaten Aneignung der gesellschaftlichen Produktion muss nicht nur die Ware ihren Todessprung überleben, verwandelt wird zudem das Subjekt Arbeiter/Arbeiterin in das Objekt Arbeitskraft. Das Produkt aus dem Gebrauch der Ware Arbeitskraft gehört nicht den Produzierenden, sondern tritt ihnen als Fremdes, als Macht gegenüber. Mit der „fortlaufenden Verwertung der Sachenwelt“, schreiben Marx und Engels in der Deutschen Ideologie, nehme die „Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu“. So reproduzieren die Arbeitenden das Lohnverhältnis und die Warenförmigkeit ihrer Arbeit, sie reproduzieren ihren Status als Ausgebeutete. Ausbeutung bemisst sich nicht nach dem Grad der skandalösen, gesundheitsschädlichen, dreckigen, sklavenähnlichen etc. Arbeitsverhältnisse, sondern ist als prinzipielle Ungleichheit (der Macht, der Wertigkeit, der Menschenwürde) verwobener Teil des kapitalistischen Lohnverhältnisses. An dem ändert ein „voller Arbeitsertrag“, den noch Lassalle forderte, ebenso wenig wie eine gerechtere Verteilung der Reichtümer. Während des Kalten Krieges hatten die unteren Klassen und Schichten, der Systemkonkurrenz sei Dank, in begrenztem Umfang Anteil an der Produktivitätssteigerung, dieser Druck ist entfallen, jetzt wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Umverteilung ist also nötiger denn je und überfällig, sie hebt aber die Entfremdung nicht auf. Dazu sind tief greifende Eingriffe in die Struktur der Produktion nötig einschließlich der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln als das die Gesellschaft bestimmende Produktionsverhältnis. Das meint natürlich nicht, dass ein jeder Betrieb enteignet werden soll, aber die Gesellschaft soll sich fortentwickeln von Entfremdung in Richtung Selbstbestimmung, von privatem Profit in Richtung gesellschaftlichem Nutzen.

Endlich bleibt die Gesellschaftsanalyse im Grundsatzprogramm unvollständig ohne Patriarchatskritik, die sich auf die ökonomische, soziale, kulturelle und symbolische Ordnung bezieht. Es geht um die Aufhebung aller Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse und nicht um eine Hierarchisierung in Haupt- und Nebenwidersprüche. Zu untersuchen wäre also das Patriarchat als eigenständiges Ausbeutungs-, Widerspruchs- und Unterdrückungsverhältnis in seiner Verquickung mit dem heutigen Kapitalismus. Hier sind die Forderungen nach Gleichstellung, gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit, gleichen Chancen für Männer und Frauen, gleichen Rechten auf Teilhabe und Gestaltung etc. immer noch richtig und nötig als nachholende bürgerliche Revolution. Als Sozialistinnen und Sozialisten sollten wir darüber hinaus gehen und z.B. prüfen, wie die Kommerzialisierung und Kapitalisierung des ehemals „Privaten“, das meint der Familien- und Sorgearbeit für die fortdauernde Wiederherstellung des Menschengeschlechts, unsere Gesellschaft, das Lebensgefühl von Männern und Frauen, die Verhältnisse zwischen ihnen, auch ihre Rollen und endlich die Gesellschaft selbst verändern. Die Lage der Frauen differenziert sich weiter, einige verdienen (gut), andere dienen, unter ihnen viele Migrantinnen, auch solche ohne Papiere. Zunehmend geraten auch Männer in vormalige Frauenberufe, als Kraft an der Kasse im Supermarkt, Teilzeit-Erzieher oder Zugeh-Pfleger, als Putzmann…, prekär beschäftigt in Positionen, wo dazuverdient wird und der Lohn nicht zum Leben reicht. Aufmerksamkeit verdient auch dies: Seit nunmehr 100 Jahren fordert die internationale Frauenbewegung gleichen Lohn für gleiche Arbeit, inzwischen präziser: für gleichwertige Arbeit. Doch was ist gleichwertig? Ist die Arbeit des Maschinenbauingenieurs gleichwertig mit der Arbeit einer Sozialpädagogin? Beide haben Abitur, beide haben studiert, nur der eine, der Ingenieur, übrigens ebenso die Ingenieurin, verdient ungleich mehr als die Sozialpädagogin oder der Sozialpädagoge. Oder ist die Arbeit der Krankenschwester gleichwertig mit der Arbeit des Kfz-Mechatronikers? Vorbildung und Ausbildungszeit der beiden sind gleich, doch am Auto wird ungleich mehr verdient als am Krankenbett. Links und anti-patriarchal wäre, wenn DIE LINKE die Gleichwertigkeit von Arbeit an und mit Menschen mit Arbeit an und mit Maschinen verträte, unbeirrbar, fortdauernd. Und allüberall muss DIE LINKE für radikale Arbeitszeitverkürzung streiten, für weit unter 35 Stunden, für die Verkürzung von Lebens-, Tages- und Wochenarbeitszeiten. Drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist auch ein Mittel gesellschaftlicher Umverteilung. Umverteilt wird die Erwerbsarbeit zwischen Lohnabhängigen und Erwerbslosen, zwischen Männern und Frauen und umverteilt wird erarbeitetes Vermögen.

Eigentumsverhältnisse und Staatsverfassung

Die Formen und Ausprägungen, die der Kapitalismus annimmt, national und global, sind recht verschieden, in seiner Entwicklung waren sie es ohnehin. Ein Widerspruch aber durchzieht sie alle und kennzeichnet den Kapitalismus als System, das ist der Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Er kann aufgehoben werden mit Eingriffen in die Besitz- und Eigentumsverhältnisse. Das betrifft sowohl den juristischen Akt der Eigentumstitel als auch die tatsächliche Verfügung über Eigentum. Wer meint, wichtig seien vor allem die Eigentumstitel, alles wende sich zum Guten, wenn nur viele Betriebe verstaatlicht werden, tauscht zunächst nur den Chef, die Chefin aus. Das wäre oft verdienstvoll, aber für sich genommen noch nicht demokratisch. Wer hingegen meint, nur die Verfügungsgewalt zählt, ist bestenfalls blauäugig; die Eigentumsstruktur, die heute Markt und Volkswirtschaften weltweit beherrscht, ist nur mittels einschneidender Maßnahmen zu regulieren. Aktuell muss dringend die Masse des Finanzkapitals, die überquellend um den Globus jagt und ganze Volkswirtschaften vor sich her treibt bzw. in den Strudel zieht, reduziert werden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich Politik überhaupt wieder in ihr Recht versetzt und gestaltend eingreifen kann. Dafür müssen ganze Bereiche dem Profit-Prinzip entzogen werden, wie Gesundheit, Bildung, Pflege, Alters- und Kinderbetreuung, Banken, Verkehr, die Versorgung mit Wasser, Energie. Ziel dieser Eingriffe in die Struktur von Eigentum ist es, die Struktur der Gesellschaft zu verändern. Sie soll demokratisiert und human werden. Entwickelte Demokratie und Gemeineigentum bedingen einander.

Gerade im Umgang mit dem Eigentum sind historische Hypotheken abzutragen. Die Erfahrungen in der DDR haben im Alltagsbewusstsein tiefe Spuren hinterlassen, der Mangel an Effizienz und Demokratie des „Staatssozialismus“, der zentralistischen Planwirtschaft leben bis heute im Bewusstsein fort. Das Managertum eines Parteifunktionärs war ebenso wenig förderlich für die Demokratie wie das Managertum in einem Konzern, sie unterschieden sich kaum in der Form, gravierend allerdings in der Entlohnung.

Die Rolle und Bedeutung des Staates ist für die Linke vielleicht die schwierigste Frage. Staat hat bei vielen von ihnen einen schlechten Klang, er soll doch überwunden, abgeschafft werden. Auf westdeutscher Seite gibt es viele negative Erfahrungen mit den Organen des Staates wie Polizei, Justiz und anderen Behörden. Auf ostdeutscher Seite ist der Begriff Staat geprägt von der Erfahrung paternalistischer Bevormundung und von Überwachung. In der Staatsfrage lohnt es sich, bei Wolfgang Abendroth Rat zu holen. Er unterschied sehr genau zwischen Institutionen und Funktionen des Staatsapparates einerseits und der demokratischen Ordnung, das heißt der demokratischen Republik andererseits. Mit der gleichen Unbeirrbarkeit, mit der er gegen den repressiven Staat aufbegehrt hat, ist Abendroth für einen starken, sozialen und demokratischen Staat eingetreten. In Rechten der Bürgerinnen und Bürger auf demokratische und soziale Teilhabe, in der demokratischen Republik und dem Grundgesetz sah er Ausgangspunkte für „eine neu zu gliedernde Gesellschaft“, für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Wichtige Grundsätze, die im Programm der LINKEN Beachtung verdienen, waren dabei für Abendroth wirtschaftspolitische Neutralität, soziale Demokratie, Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Koalitions- und Streikrecht einschließlich des Rechts auf politischen und Generalstreik. (siehe dazu auch die Ausgabe #10, Februar 2011, des prager frühling)

Ein Entwurf ist noch kein Programm. Die Art und Weise, wie sich DIE LINKE ihr Programm erarbeitet und aneignet, wie sie die Diskussion führt und wie sie sich auseinandersetzt, kann werbend für DIE LINKE sein oder abstoßend, kann zusammenführen oder trennen, kann andere einbeziehen oder zurückweisen. Auf diesem Weg haben wir unseren eigenen Stil noch nicht gefunden.

Vorabveröffentlichung

geschrieben am 07.02.2011

Im März erscheint ein Buch von Wolfgang Gehrke zur Programmdebatte. prager frühling dokumentiert als erstes Medium einen Auszug vorab im Dossier Programmdebatte. Der Beitrag findet sich hier.

Hardt aber herzlich

geschrieben am 13.01.2011

Chaos-Tage bei der LINKEN

Beitrag von Kolja Möller, geschrieben am 13.01.2011

Glaubt man den Medien, geht es bei der LINKEN aktuell rund. Kein Tag ohne neue Meldung zu Kommunismus, zum angeblichen Führungsstreit und Fragilität der Partei. Die gute Nachricht ist: Die Linke ist eine postideologische Sammlungsbewegung für soziale Gerechtigkeit, die sich in einzelnen Grundfragen der Tagespolitik einig ist. Schon allein deshalb, weil die Berufspolitiker_innen wiedergewählt werden wollen, wird sich die Partei nicht zerlegen, sondern in jeden einzelnen Wahlkampf geschlossen und mit realpolitischen Forderungen ziehen. Zur Not wird der Streit halt übertüncht oder zurückgestellt, so wie in anderen Parteien eben auch. Leute, wie die Fundis bei den GRÜNEN, die Ebermanns oder Ditfurths, die im Zweifel auch ihren Job an den Nagel hängen, gibt es bei den Linken nicht. Die schlechte Nachricht ist: Durch die Vermischung von tagespolitischer Intervention und einer Programmdebatte zum Sozialismus des 21.Jahrhunderts entsteht tatsächlich ein Chaos, bei dem nicht absehbar ist, wie ein Ausweg aussehen könnte.

1. Die aktuelle Unübersichtlichkeit haben die Vorderen der Linkspartei selbst heraufbeschworen. Stets wurde die Programmdebatte eben nicht als Austragung von inneren Konflikten und einem Suchprozess nach einem sozialistischen Projekt beschrieben, sondern immer schwerpunktmäßig als tagespolitische Intervention bei dem die Einigkeit über grundsätzliche Forderungen im Mittelpunkt stehen sollte. Dieses Stichwort haben die Medien dankbar aufgegriffen: Jeder Programmkonflikt erscheint jetzt als Kritik der Führung Lötzsch/Ernst. Das Problem ist zumindest teilweise hausgemacht: Durch die Koppelung von Tagespolitik und Programmdebatte und dadurch, dass sich die beiden Vorsitzenden so eng mit dem Programmentwurf liiert haben, statt sich als Moderatoren eines Diskussionsprozesses zu positionieren. Eigentlich kann man sich jetzt jede inhaltliche Programmkritik sparen. Die Linksparteiführung muss beantworten, wie sie das Knäuel wieder entwirren will, so dass eine inhaltliche Diskussion um das Programm überhaupt wieder möglich wird.

2. Grundsätzlich wird auch in der aktuellen Lage deutlich, dass es die LINKE bisher nicht vermocht hat, ihre inneren Konflikte anzuerkennen und auf Dauer zu institutionalisieren. Seit 2005 hielt das Charisma des Führungspersonals und die 5% Prozent Hürde das Parteiprojekt zusammen. Dieser Kitt ist auf Dauer zu dünn. Und er kann eben nicht beliebig erneuert werden. Wie der Kitt dicker werden kann, ist eine offene Frage. Schon letztes Jahr haben wir hier in diesem Blog dafür plädiert, dass nicht Konfliktverhinderung, sondern Konfliktmanagement ein Ansatzpunkt sein könnte. Doch dafür bräuchte es eben auch konkrete Vorschläge, institutionelle Phantasie und das Eingeständnis, das die eigene Position eben auch nur eine unter vielen innerhalb der neuen Linkspartei ist.

3. Inhaltlich ist die Linke auf Geisterfahrt: Tagespolitisch erneuert sie regelmäßig einen linkssozialdemokratischen Forderungskatalog, im Programm definiert sie sich als eine Partei des demokratischen Sozialismus, um dann aber wieder konkret beim Linkssozialdemokratismus zu landen. Nachdem die einzigen inhaltlichen Statements der Parteivorsitzenden meist darauf zielten, dass die Programmdebatte „nah bei den Menschen“ stattzufinden habe (was eigentlich die Absage an jede Programmdebatte ist, sondern rhetorisches Wahlkampfgeplänkel), hat die Parteivorsitzende nun aus Versehen – so scheint es – einen Beitrag zum Kommunismus geschrieben. Anknüpfungspunkt ist hier nicht die durchaus spannende Diskussion um eine Wiederbelebung eines libertär gewendeten Kommunismusbegriffs, wie sie gegenwärtig in der Kunst oder in der politischen Philosophie geführt werden (siehe zum Beispiel unser Interview mit Michael Hardt „Kommunismus neu denken“), sondern eigentlich das, was im Programm steht: Wir sind für soziale Gerechtigkeit, Regierung, Opposition – wir arbeiten überall und lassen uns vom demokratischen Sozialismus als Wertesystem und Rosa Luxemburg dabei leiten. Das wird – weil es zur Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Konferenz passt – „Wege zum Kommunismus“ genannt und von der Jungen Welt begeistert in die Überschrift geholt. Und jetzt gilt in einer leichten Variation des Bob Dylan Klassikers: „Stuck inside the mobile with the real existing socialist blues again!“ Es wird nicht über Systemalternativen, sondern über Vergangenheitsbewältigung diskutiert.

Keine leichte Aufgabe, das zu entwirren.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Beitrag von Stefan Gerbing, geschrieben am 13.01.2011

Am 12. Januar 2010 begann vor dem Landgericht Magedeburg das Revisionsverfahren gegen den Polizisten Andreas Schubert. Dem Dienstgruppenleiter wird vorgeworfen er habe den Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh zu verantworten. Jalloh war gefesselt in einer Polizeizelle verbrannt, der ausgelöste Feueralarm wurde von den diensthabenden Polizisten ignoriert.

Das Landgericht Dessau hatte den Polizisten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Die Nebenklage beantragte daraufhin Revision, der Bundesgerichtshof verwies daraufhin das Verfahren im vergangenen Jahr an das Landgericht Magdeburg zurück. prager frühling interviewte E. Komi von der Inititiative „Gedenken an Oury Jalloh“, die den Prozess begleitet. Komi kannte Oury Jalloh aus dem Telecafé, einem Afroshop in Dessau.

prager frühling: Bisher hat es zwei Freisprüche gegen beteiligte Polizisten gegeben. Hauptgrund war, dass sich die Polizisten gegenseitig im Verfahren deckten . Glauben Sie sechs Jahre nach dem Tod Oury Jallohs noch an eine Verurteilung?

E. Komi: Ja, wir hoffen, dass es dieses Mal klappt. Aber auch, dass wir erfahren, wer eigentlich alles im Keller der Polizeiwache war. Wir haben Informationen, dass bevor das Feuer ausbrauch zwei Polizisten dort waren. Wir wollen wissen, was die im Keller mit Oury Jalloh gemacht haben. In der Zelle wurde darüber hinaus eine Flüssigkeit gefunden. Wir wollen wissen, was das für eine Flüssigkeit war und wie die da hinkam. Vor dem Prozess hat Herr Schubert, der Hauptangeklagte bereits einen Brief an das Gericht geschrieben, in dem er sagt, dass er sich nicht mehr zu den Vorwürfen äußern möchte und dass er auf Grund einer schweren Erkrankungen nicht mehr in der Lage ist, sich an das Geschehen zu Erinnern. Es ist ein Versuch ein weiteres Mal mit uns zu spielen.

pf: Wie verlief der gestrige Prozesstag?

Komi: Wir waren mit ungefähr 20 Personen im Gerichtssaal, viele mussten allerdings draußen bleiben, weil nicht mehr Plätze für unsere Initiative zur Verfügung standen. Außerdem waren internationale Beobachter vor Ort. Gestern wurden zwei der vier Zeuginnen vernommen, die gesagt hatten, dass sie sich von Oury Jalloh belästigt fühlten, als er aus der Disko kam…

pf: …das war der Anlass aus dem Oury Jalloh in Gewahrsam genommen wurde.

Komi: …das Gericht hat gesagt, dass eine Zeugin nicht mehr zu finden ist. Die beiden gestern vernommenen Zeuginnen haben offenbar versucht zu lügen, das hat auch das Gericht so gesehen. Zum Beispiel haben sie gesagt, dass die erste Vernehmung nicht auf der Wache stattfand, sondern zu Hause. Aus den Polizeiakten geht allerdings hervor, dass die Vernehmung nicht auf dem Revier stattfand, sondern bei den Zeuginnen zu Hause.

pf: Welche Bedeutung messen sie der Aussage bei.

Komi: Bisher verstärkt sich der Eindruck dass die beiden Zeuginnen unter großem Druck stehen. Sie verstricken sich jedenfalls in Widersprüche.

pf: Was glauben Sie, woher dieser Druck kommt?

Komi: Das kann ich nicht sagen. Der kommt von irgendwoher, weil das Verfahren sich gegen Polizisten richtet. In der Pause haben wir bemerkt, dass die Zeuginnen beraten wurden. Wir haben das mitbekommen.

pf: Der Prozess wurde von verschiedenen Kampagnen begleitet. Wie schätzen Sie den Erfolg bisher ein?

Komi: Bis jetzt hat unsere Kampagne gut funktioniert. Beim Prozessauftakt waren viele Menschenrechtsaktivisten da. Wir haben eine Mahnwache vor dem Landgericht Magdeburg gemacht.

pf: Das Land Sachsen-Anhalt hat mittlerweile reagiert und eine unabhängige Beschwerdestelle für Fehlverhalten von Polizisten eingerichtet. Glauben sie, dass sich dadurch etwas ändern wird?

Komi: Nein, das glaube ich nicht. Viel hat sich auch bisher nicht verändert. Wir werden kontrolliert, uns wird wird nachspioniert und unsere Telefone werden offenbar überwacht. Es gibt eine ganze Reihe von Schikanen, die bisher nicht aufgehört haben. Das letzte Mal waren wir im Oktober in Dessau, um eine Veranstaltung zu machen. Mouctar …

pf: … ein enger Freund von Oury Jalloh

Komi: …und ich wurden schon von der Polizei erwartet. Die haben uns nach der Veranstaltung verfolgt, uns kontrolliert und mit einer Taschenlampe im Gesicht herumgeleuchtet. Sie haben uns nach unseren Papieren gefragt. Nur uns Afrikaner — im Auto war auch auch eine Deutsche, die auch zur Initiative gehörte. Die wurde nicht kontrolliert.

Wir wollten unseren Zug nicht verpassen und sind dann weiter zum Bahnhof gefahren. Die Polizisten haben uns verfolgt und am Bahnhof wieder kontrolliert. Einer der Beamten hat dann dabei gesagt: „Im Übrigen: Unser Kollege wird sowieso nicht verurteilt." Wir haben uns daraufhin beim Innenminister beschwert. Das zeigt: Die Schikanen hören nicht auf, wir werden nur wegen unserer Hautfarbe kontrolliert. Wir fordern weiterhin: Das muss aufhören.

pf: Sie sagen, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nichts verbessert hätten und werfen der Polizei eine rassistische Haltung vor. Welche Maßnahmen könnten denn Ihrer Meinung nach die Situation von rassistisch diskriminierten Menschen wirksam verändern?

Komi: Das müssen die Polizisten selbst bearbeiten. In meiner Heimat gibt es einen Spruch: „Man kann sich nur selbst verändern, das kann kein anderer tun.“ Die Polizisten müssen das selbst machen — es gibt keine andere Lösung. Wenn die sich nicht verändern wollen, wenn sie nicht wollen, dass wir hier bleiben, was können wir dagegen tun? Uns bleibt nur, auf die Straße zu gehen.

pf: Ich hatte die Unterstützung von verschiedenen Gruppen bereits angesprochen. Fanden sie die hilfreich oder gab es auch „Hilfe“ auf die Sie gerne verzichtet hätten?

Komi: Ich persönlich sage immer: Solidarität ist unsere Waffe. Wir haben gesehen, dass das richtig ist. Viele Gruppen haben uns unterstützt und machen weiter. Das ist auch gut so, denn alleine werden wir das nicht schaffen.

pf: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Sie beschäftigen sich seit sechs Jahren mit den schrecklichen Umständen des Todes eines Menschen. Wie hält man das aus?

Komi: Das ist schwierig. Man hält das nur schwer aus. Das ist eine schwierige Arbeit. Wir schafften vieles auch nicht. Aber wir haben viele Unterstützer und darüber sind wir froh. Manche von uns haben Familie, haben Arbeit oder studieren. Andere haben schlicht anderes zu tun. Das ist schwer unter einen Hut zu bringen. Aber wir kämpfen für unsere Würde, denn wir glauben daran, dass die würde des Menschen unantastbar ist.

Gib mir Deine Daten!

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 11.01.2011

Geheimdienste sind schwer im Kommen. Die CSU fordert die flächendeckende Überwachung der LINKSPARTEI, ein hessischer CDU-Abgeordneter legt gleich Hand an und fertig selbst Dossiers über seine LINKEN Parlamentskolleginnen und -kollegen an. Manche versuchen sich im Revanchefoul und fordern die CSU zu überwachen. Sicher: Alles nur Geplänkel, das seine Halbwertszeit spätestens mit den anstehenden Landtagswahlen überschritten haben dürfte.

Trotzdem ein Anlass sich einmal Gedanken darüber zu machen, wer politisches Engagement überwacht und wie man dem möglicherweise das Schlimmste verhindern kann. Schließlich ist es doof, wenn man die Reisetasche gerade gepackt hat und dann doch nicht zum Anti-G8-Protest reisen kann, nur weil man ohne eigenes Verschulden in einer Polizeidatenbank gelandet ist.

Gib mir Meine Daten… zurück!

Die Weimarer Punkband ATA sang in den späten 80er Jahren: „Oh, Baby, gib mir Deine Daten, weil sie mir verraten, was du fühlst und was du denkst, was dich leitet und dich lenkt.“ Den Geheimdienst auf den dieses ironische Zitat gemünzt war, gab es kurze Zeit später nicht mehr. Dafür eine ganze Reihe von Leuten, die ihre Daten gern zurückhaben wollten. Ob das eingeführte Verfahren nun das beste aller möglichen war, sei dahingestellt. Fakt ist: Die Chance die bundesdeutsche Trenchcoat- und Schlapphutmafia gleich mit abzuschaffen wurde verpasst. Wie kriegt man aber zumindest heraus, ob man „eine Akte“ hat.

Wer speichert was?

Neben den drei Geheimdiensten auf Bundesebene: Bundesverfassungsschutz, BND, militärischer Abschirmdienst, schnüffeln in jedem Bundesland die jeweiligen Landesverfassungsschutzämter. Darüber hinaus finden sich auch in den Landespolizeidatenbanken Einträge, die z.B. über Ermittlungsverfahren im Rahmen von Demonstrationen oder anderen politischen Aktionen Auskunft geben. Diese Datenbanken sind über das beim BKA angesiedelte INPOL-neu System verbunden, auf das auch Bundespolizei und Zoll Zugriff haben.

An dieser Vielzahl an Institutionen wird schon deutlich, dass es gar nicht so einfach ist, herauszufinden wer etwas über einen speichert. Um Auskunft zu erlangen, muss man sich an jede einzelne Behörde wenden. In der Regel geht dies formlos, allerdings kann man es sich auch einfacher machen. Auf der Webseite www.datenschmutz.de steht ein Auskunftsgenerator bereit, der einem ein fertiges Schreiben inklusive Adresse der jeweils zuständigen Behörde, also jeweiliges Landeskriminalamt bzw. des Landesamtes für Verfassungsschutz ausspuckt. Einfacher geht es nicht. Auch lokale Initiativen wie die Brandenburger „Polizeikontrollstelle“ bieten Vordrucke zur Akteneinsicht bei der jeweiligen Landesbehörde an.

Auskunft verweigert?

Wenn man Glück hat, hat man einige Wochen später einen Bescheid im Briefkasten, in dem steht, was die „die Anderen“ so über das eigene Leben wissen. Nach erhalt des Bescheides sollte man Löschung mit dem Hinweis darauf beantragen, dass die Daten zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der jeweiligen Behörde nicht notwendig sind. Auch hierzu genügt ein formloses Schreiben.

Um sich nicht in die Karten schauen zu lassen, nutzen die Verfassungsschutzämter jedoch sehr gern auch ein anderes Mittel. Sie erklären einem schlicht, dass man zwar Daten gespeichert habe, allerdings aus Gründen des Quellenschutzes keine Auskunft erteilen mag. Ist das der Fall sollte man sich vom jeweiligen Landesdatenschutzbüro beraten lassen und auf jeden Fall Widerspruch einlegen, denn wenn dieser negativ beschieden wurden, lässt sich vor dem Verwaltungsgericht klagen. Bisher war dies in vielen Fällen erfolgreich.

Löschung verwehrt

Das selbe gilt für den Löschungsantrag. Auch hier erklären die Ämter gern, dass sie die eigenen Daten zur Beobachtung von extremistischen Bestrebungen benötigen. Auch hier haben die Spitzel sich in der Vergangenheit vor Gericht häufig „grüne Ohren“ geholt. Also auch hier: Datenschutzbeauftragte anschreiben, Widerspruch einlegen und ab vors Verwaltungsgericht.

Links:

1) Liste der Datenschutzbeauftragten der Länder

2) Hilfreiche Tips rund um Fragen von Auskunftsersuchen und Löschung: www.datenschmutz.de.

Überzogen

Beitrag von Ralf Krämer, geschrieben am 11.01.2011

In der lesbar führen wir die Diskussion zum Parteiprogramm weiter. Nachdem Cornelia Möhring und Caren Lay in Artikeln den vorliegenden Programmentwurf jeweils aus feministischer Perspektive kritisierten, erreichte die Redaktion ein Beitrag von Ralf Krämer, der diese zurückweist und der hier zur Verfügung gestellt wird.

Die Bundesfrauenkonferenz am 10.10.2010 hat eine Kritik am Programmentwurf für die Partei DIE LINKE beschlossen, in dem sie u.a. den angeblich dem Programmentwurf zugrunde liegenden Arbeitsbegriff kritisiert. Ich kann eine Kritik am Programmentwurf nachvollziehen, der die bisherigen Aussagen aus feministischer Sicht zu wenig und zu unsystematisch sind. Aber die Formulierungen der Bundesfrauenkonferenz sind m.E. unangemessen, überzogen und unbegründet.

Zutreffend ist, dass Vieles im Programmentwurf nicht oder nur unzureichend behandelt wird. Da kann und sollte an verschiedenen Punkten, auch von der Bundesfrauenkonferenz angesprochenen, nachgearbeitet werden. Die Passagen zu Gleichheit und Geschlechtergerechtigkeit beruhen dabei auf Textvorschlägen, die von weiblichen Mitgliedern der PK vorgelegt wurden und als am geeignetsten erschienen (es lagen noch weitere Passagen dazu, mit vielen Überschneidungen oder weniger geeignet). Für einen Programmentwurf besser geeignete Texte – dazu kann es selbstverständlich unterschiedliche Meinungen geben, aber das war kein großer Streit – lagen nach meiner Erinnerung nicht vor. Es fehlt im Programmentwurf insgesamt eine systematische Analyse nicht nur der Geschlechterverhältnisse, sondern auch der Klassenverhältnisse oder anderer Herrschaftsstrukturen. Die Behauptung der Bundesfrauenkonferenz, die im Programmentwurf formulierte Analyse fiele „noch hinter die These vom Nebenwiderspruch zurück“, ist deshalb unbegründet.

Es auch kritisch zu hinterfragen, in welcher Form und welchem Umfang eine Gesellschaftsanalyse in ein Parteiprogramm gehört. Das ist kein wissenschaftlicher, sondern ein politischer Text. Er darf nicht überlang werden und sollte allgemein verständlich sein. Wörter wie „heteronormativ“ gehören deshalb nicht hinein. Langatmige theoretische Ausführungen zu zudem innerhalb der LINKEN umstrittenen Punkten sollten unterlassen werden. Maßstab für die Gewichtung sollte sein, wie – subjektiv – wichtig Punkte für die politische Positionierung der Menschen sind, die wir ansprechen wollen, und wie – objektiv – bedeutsam sie für die Darstellung der realen Entwicklungen und Verhältnisse und der Schlüsselmomente ihrer Veränderung sind, und welche Rolle sie für die politische Auseinandersetzung und Praxis der Partei spielen. Das politische Profil der LINKEN und die zentralen Grundpositionen und Botschaften, die von der Partei und ihren Mitgliedern breit getragen werden, müssen im Mittelpunkt stehen und deutlich werden.

Ich teile völlig einen allgemeinen Begriff der Arbeit als zweckmäßige bewusste Tätigkeit. Es ist auch völlig unstreitig, dass es verschiedene Bereiche gibt, in den gesellschaftlich notwendige Arbeit geleistet wird, und dass es neben der Lohn- und anderen Erwerbsarbeit auch Arbeit in anderen gesellschaftlichen Formen gibt. Am bedeutsamsten ist dabei die unbezahlte Arbeit, die überwiegend in privaten Haushalten geleistet wird und die von der Zahl der geleisteten Stunden her sogar die Erwerbsarbeit übertrifft. Sowohl Erwerbsarbeit als auch unbezahlte Arbeiten sind notwendig für den gesellschaftlichen Lebens- und Reproduktionsprozess insgesamt.

Ich sehe nicht, wo irgendetwas im Programmentwurf diesem Arbeitsbegriff widerspricht, wie sich der Vorwurf der „männerdominierten Perspektive“ begründet, wo eine „Hierarchisierung unterschiedlicher Arbeiten“ formuliert wird. Es geht nicht um den Arbeitsbegriff, sondern um Schwerpunktsetzungen und Defizite des Entwurfs, das ist etwas anderes. Tatsächlich finden sich im Entwurf eine ganze Reihe von Aussagen, die alle nur Sinn machen, wenn nicht nur die Erwerbsarbeit als Arbeit betrachtet wird. Auch die von der Bundesfrauenkonferenz geforderte Umverteilung von Arbeit wird im Programmentwurf klar formuliert:

„Wir wollen, dass die Menschen Erwerbsarbeit, Arbeit in der Familie, die Sorge für Kinder, Partner und Freunde und schließlich individuelle Weiterbildung und Muße selbstbestimmt verbinden können." „Wir wollen, dass alle Menschen nach ihren Fähigkeiten und Neigungen am gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozess mitwirken können und streben eine neue, gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit und der anderen gesellschaftlich notwendigen Arbeiten an." „Die soziale Gestaltung und gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit und der anderen notwendigen Arbeiten, insbesondere zwischen Männern und Frauen, haben eine Schlüsselrolle auch für die Gestaltung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und des Sozialstaats.“ „Die Arbeitszeiten müssen gemäß den Bedürfnissen der Menschen bei vollem Lohnausgleich verkürzt werden. Gute Arbeit für alle, aber weniger Arbeit für die Einzelnen – das wollen wir als neue Vollbeschäftigung.“ „Wir fordern die Abschaffung des Ehegattensplittings, denn dieses fördert die traditionelle männlich dominierte Alleinverdiener-Ehe und hemmt die Erwerbstätigkeit von Frauen.“ „Wir unterstützen Maßnahmen, die zur Erhöhung der Frauenerwerbsquote beitragen, streiten für gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, für die Verkürzung der Arbeitszeit und für die gerechte Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit auf Männer und Frauen.“ Auf weitere Punkte hat Kersten Artus in ihrem Beitrag hingewiesen.

Es ist richtig so, dass „Gute Arbeit“ im Sinne der demokratischen und sozialen Gestaltung der Lohnarbeit eine wichtige Rolle im Programmentwurf spielt. Und zwar weil dies im Mittelpunkt der sozialen Interessen der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung – der Frauen wie der Männer – steht und weil die Erwerbsarbeit viel mehr gesellschaftlich-politischer Regulierung und Gestaltung zugänglich ist als die unbezahlte Arbeit. Die Begrifflichkeit „Gute Arbeit“ greift bewusst gewerkschaftliche Ansätze auf, die breit verankert sind, dies ist wichtig für DIE LINKE. Und ich fände es politisch falsch und auch antiemanzipatorisch, wenn diese Schwerpunktsetzung als „männerdominierte Perspektive“ bezeichnet würde.

Die Erwerbsarbeit hat zudem die besondere ökonomische Bedeutung, die sich von anderen – unbezahlten – Formen der Arbeit unterscheidet, dass nur sie die ökonomischen Werte und damit Einkommen produziert und damit auch die ursprüngliche Quelle aller anderen Einkommen und der Finanzierung des Sozialstaats ist. Eigentum an Aktien und anderem Kapital ermöglicht die Aneignung von Einkommen, aber geschaffen werden die Werte und damit die Einkommen durch die Arbeit. Nur Erwerbsarbeit produziert die Güter und Dienstleistungen, die mit Geld gekauft werden können. Die zentrale Rolle der Erwerbsarbeit für die gesellschaftliche Produktion und Verteilung wird indirekt daran deutlich, wie zentral die Verfügung über Geld für die Menschen in der heutigen Gesellschaft ist.

Falsch ist auch die Kritik, die Katja Kipping immer wieder bringt, obwohl wir sie schon mehrfach darauf hingewiesen haben, dass sie die Unwahrheit sagt. Im Programmentwurf steht „Einkommen und Vermögen werden durch Arbeit erzeugt und sollen daher entsprechend dem Beitrag zum gesellschaftlichen Arbeitsprozess und sowie nach Bedürftigkeit verteilt werden.“ Kipping macht daraus, „dass allein Erwerbsarbeit als Quelle von gesellschaftlichem Reichtum angesehen wird“. Dies ist eine zweifache Verfälschung: Im Entwurf steht „Arbeit“ und nicht „Erwerbsarbeit“, und es steht „Einkommen und Vermögen“ und nicht „Reichtum“. Dies ist wichtig, denn die Natur ist ebenso wie die Arbeit Quelle des stofflichen Reichtums – aber nicht des Vermögens, also des Eigentums, und des Einkommens.

Ein anderer Satz des Programmentwurfs, den Kipping und andere immer wieder falsch kritisieren, weil sie anscheinend nicht begreifen oder begreifen wollen, was gemeint ist, ist folgender: „Die Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte ist heute und auf absehbare Zeit die Erwerbsarbeit.“ Die Betonung liegt hier auf der Entwicklung der Produktivkräfte, ihrer Dynamik. Diese entsteht in der gesellschaftlich organisierten Arbeit, im Rahmen gesellschaftlicher und globaler Arbeitsteilung und objektiver Vergesellschaftung der Forschung, Entwicklung und Produktion. Und diese gesellschaftlich organisierte Arbeit vollzieht sich ganz überwiegend in Formen von Erwerbsarbeit, vor allem Lohnarbeit. Es ist dieser gesellschaftlich organisierte Arbeits- und Produktionsprozess, in dem sich die Dynamik abspielt, und der auch die Bedingungen für die Arbeit in den privaten Haushalten umwälzt. Weder Waschmaschine noch Heimcomputer wurden in der Familie erfunden und produziert, sondern in der Industrie. Der Hinweis, dass die unbezahlte Arbeit sogar mehr Stunden ausmacht, ist da überhaupt kein Gegenargument. Harald Werner und Herbert Schui haben dazu Richtiges geschrieben.

Unpassend finde ich auch den Satz des Beschlusses: „Zu einem Konzept der guten Arbeit der LINKEN kann keine Arbeit gehören, die auf der Zerstörung von natürlichen Ressourcen und menschlichem Leben beruht.“ Der Programmentwurf setzt sich an vielen Stellen entschieden für die Erhaltung natürlicher Ressourcen und Lebensgrundlagen, gegen Krieg und für gutes Leben für alle ein. Das gehört aber nicht ins Kapitel „Gute Arbeit“. Dort wird bewusst und als politische Botschaft der soziale und gewerkschaftliche Gestaltungsanspruch in Bezug auf die Bedingungen der Lohnarbeit aufgegriffen, die unabhängig vom konkreten Inhalt der Arbeit gelten müssen. Auch Beschäftigte in der Rüstungs- oder der Atomindustrie haben Anspruch darauf und dass DIE LINKE ihre Interessen an in diesem Sinne „guter Arbeit“ wahrnimmt. Die Abkehr von diesen Produktionen und konkreten Arbeiten ist eine Aufgabe nicht der Gestaltung der Arbeit, sondern der Friedens- und der Energiepolitik.

Mein Eindruck ist, dass die Bundesfrauenkonferenz und eine feministisch motivierte Kritik am Programmentwurf von einigen GenossInnen instrumentalisiert wurde und wird für Versuche, die Grundlinie des Entwurfs zu verändern. Die zentrale Orientierung auf die (Um-)Gestaltung und Umverteilung der Erwerbsarbeit sowie die Orientierung auf die Gewerkschaften wollen einige ersetzen durch eine keineswegs neue und immer schon falsche pauschale Kritik der Erwerbsarbeit und die Orientierung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen als vermeintliche Alternative. Verbunden wird dies aktuell mit einer Kampagne gegen Klaus Ernst, die der LINKEN nur schaden kann, vgl. dazu Kipping und meine Kritik am BGE.

Ralf Krämer, Mitglied der Redaktionskommission für das neue Programm der LINKEN, einer der SprecherInnen der Sozialistischen Linken

“Es ist leichter, daß ein Kamel gehe durch ein Nadelöhr, denn daß ein Reicher in das Reich Gottes komme.” (Jesus Christus)

Beitrag von Katja Kipping, geschrieben am 25.12.2010

Die Weihnachtsfeiertage, das Fest der Besinnung und der Nächstenliebe, sind Anlass eine Debatte wieder aufzugreifen, die vor drei Jahren aufgrund der maßlosen Gehälter und Vergütungen der Manager- und Mangerinnen geführt wurde. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich in den kommenden Tagen der Vermittlungsausschuss mit der Frage beschäftigen muss, wie die Höhe eines menschenwürdigen Auskommens berechnet sein muss, sollte sich unser Blick auch einmal dahin richten, wo das Einkommen so reichlich fließt, dass sein/e BezieherIn möglicherweise Probleme bekommen könnten, in das “Reich Gottes” aufgenommen zu werden, wenn man das Wort Jesu Christi ernst nimmt: “Es ist leichter, daß ein Kamel gehe durch ein Nadelöhr, denn daß ein Reicher in das Reich Gottes komme.”

Weniger aus Sorge um den Verbleib der Reichen, sondern mehr wegen der allgemeinen Empörung über die explosionsartige Entwicklung der Managergehälter in Zeiten der wirtschaftlichen Krise sinnierten vor gut drei Jahren prominente Persönlichkeiten, darunter der langjährige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering oder der erst in diesem Jahr aus dem Amt geschiedene EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla, über deren Höhe. Alle drei fanden Gehälter, die über dem hundertfachen einer/s Angestellten liegen, als unmoralisch. Ein Urteil, dem sich SozialistInnen, ChristInnen und alle anderen, die nicht längst alle moralischen Wertmaßstäbe verloren haben, nur anschließen können.

Leider blieb die damalige Diskussion nur ein Strohfeuer. Gehandelt wurde nicht. Deshalb ist es nun an der Zeit, gesetzliche Regelungen zu treffen. Wir brauchen einen Einkommenskorridor. Nach unten muss es auf Höhe von 1.000 Euro ein Sicherheitsnetz geben, unter das niemand fällt. Schließlich erfordert demokratische Teilhabe ein Mindestmaß an materieller Sicherheit. Nach oben sollte es eine Onkel-Dagobert-Abgabe auf alle Netto-Einkünfte von über 40.000 Euro geben. Von rund 500.000 Euro im Jahr kann man gut leben. Wer kann schon 40.000 Euro im Monat sinnvoll ausgeben? Ab dieser Höhe fließt ein höheres Einkommen kaum in höhere Lebensqualität, sondern gerinnt eher in der Möglichkeit, besonders intensiv Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Und ehrlich: Wessen Arbeit ist schon mehr als eine halbe Million Euro wert? Ob man mit einem solchen Salär bereits durch ein Nadelör passt, um ins Himmelreich zu gelangen, müssen letztliche Religionsgelehrte einschätzen. Der Demokratie wird der Einkommenskorridor auf jeden Fall gut tun!

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