Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

Ein ereignisreiches schwules leben

Beitrag von Bodo Niendel, geschrieben am 19.08.2013

Rudolf Brazda war der letzte bekannte Homosexuelle KZ-Überlebende, der wegen seiner sexuellen Orientierung von den Nazis verfolgt wurde. Er starb 2011 im Alter von 98 Jahren. Als man 2008 im Berliner Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismusverfolgten Homosexuellen einweihte, gingen die Veranstalter davon aus, dass kein homosexueller KZ-Insasse mehr lebt. Doch in Folge der Berichterstattung meldete sich die Nichte von Rudolf Brazda. Daraufhin wurde sein Schicksal bekannt, der Historiker und ehemalige Pressesprecher des Lesben- und Schwulenbands Berlin Alexander Zinn besuchte Brazda mehrfach und zeichnete sein Leben mit dem vorliegenden Buch nach.

Beeindruckend ist, dass Brazda bis Mitte der 1930er Jahre ein offen homosexuelles Leben in der süddeutschen Provinz führte und mit seinem schwulen Freundeskreises häufig zu gemeinsamen Ausflügen aufbrach. Doch mit der Strafverschärfung des §175 durch die Nazis im Jahr 1935 konnte bereits ein Kuss oder ein amouröser Blick zu Strafverfolgung führen. Einzelne Staatsanwaltschaften und die Polizei begannen die Verfolgung zu intensivieren. So geriet auch Brazda in die Fänge der Nazis. Zinn zeichnet präzise das wechselhafte Leben von Brazda bis zur Einweisung in das Konzentrationslager Buchenwald nach und setzt das individuelle Schicksal Brazdas immer wieder in den historischen Kontext der NS-Homosexuellenverfolgung. Anders als politische Häftlinge waren Schwule in den Konzentrationslagern auf sich gestellt. Brazda berichtet: „… wir waren gar nicht richtig verbunden … da hat jeder verzweifelt rumgesessen.“ Die Greuel und die Qualen waren entsetzlich. Doch auf eine Solidarität von Außen brauchten sie nicht zu hoffen. Der Homosexuellenhass war in Deutschland so verankert, dass selbst die Angehörigen der homosexuellen Häftlinge nur selten Wert darauf legten die sterblichen Überreste ihrer Söhne zugesandt zu bekommen. Brazda überlebte Buchenwald, auch weil ihm seine Tätigkeit für die Kommunistische Partei in der Weimarer Zeit bei den roten Kapos im KZ behilflich war und weil er notgedrungen sexuelle Dienstleistungen erbrachte. Die Liebe läßt Brazda nach der Befreiung seine Zelte in Frankreich aufschlagen. Hier sollte er über viele Jahrzehnte mit seiner neuen Liebe Edi leben. Zum Glück, denn in der Bundesrepublik galt der §175 in der Nazifassung unverändert bis 1969. 50.000 Männer wurden bis dahin verurteilt, viele zu langen Haftstrafen.

Brazda besuchte noch mehrmals Berlin, besichtigte das sogenannte Homomahnmal, traf den regierenden Bürgermeister und nahm sogar am Berliner CSD teil. Alexander Zinns Buch über Rudolf Brazdas ist eine spannende und bedrückende Lektüre über ein ereignisreiches schwules Leben, die Homosexuellenverfolgung und eine Nachkriegszeit, in der über das Schicksal der Schwulen in Deutschland wie auch in Frankreich weiter geschwiegen wurde. Zinn legt mit diesem Buch ein lesenswertes Zeugnis über einen gewöhnlichen Homosexuellen ab, der nur aufgrund seiner sexuellen Orientierung in die Verfolgungsaktivtäten der Nazis geriet.

Zu Brazdas 100. Geburtstag, im Juni 2013 und damit zwei Jahre nach Brazdas Tod, veranstaltete das Land Thüringen einen Staatsakt zu seinen Ehren. Es war eine imposante, wenngleich wohlfeile Veranstaltung, denn für die fehlende Aufarbeitung und fortbestehende Homosexuellenverfolgung in der Nachkriegszeit brauchte man sich bei den Überlebenden nicht mehr zu entschuldigen.

Bodo Niendel, Referent für Queer- und Gleichstellungspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.


Die Residenzpflicht: Virus im nationalen Rechtstext

geschrieben am 19.07.2013

Schlagworte:

flüchtlinge, rassismus, residenzpflicht

Die Letzte Meile, täglich in Berlin, Heinrichplatz, 18 Uhr

Wer seid ihr?

Wir sind Anwohnerinnen der Oranienstraße und bekommen unmittelbar mit, was auf dem Oranienplatz los ist. Dort haben Refugees, die die vielen Kilometer von Würzburg nach Berlin gelaufen sind, um für die Abschaffung der Residenzpflicht zu kämpfen, ihr Camp aufgeschlagen. Sie versuchen seit einem Jahr mit hochrangigen Vertreterinnen der deutschen Politik in einen Dialog zu treten. Das ist bis heute nicht geschehen. Die Politik weigert sich. Sie beharrt auf der bestehenden Rechtsgrundlage. Noch wird das Camp der Refugees auf dem Oranienplatz geduldet. Bald sind Bundestagswahlen und es ist absehbar, dass zumindest die CDU in Berlin auf Kosten der Refugees auf dem Oranienplatz Wahlkampf machen wird.

Ihr setzt euch für die Abschaffung der Residenzpflicht ein und habt eurem Protest den Namen "Permanenter Politischer Protest" gegeben. Was können wir uns darunter vorstellen?

Unser Permanenter Politischer Protest (PPP), der an jedem Tag der Woche auf dem Heinrichplatz von 18 bis 19 Uhr stattfindet, soll allen Menschen signalisieren, die Situation ist ernst: sowohl für alle Refugees als auch für uns, die selbst keine Refugees sind. Die Gesetze der Residenzpflicht müssen ein für allemal aus dem Asylverfahrensgesetz gestrichen werden. Die Residenzpflicht – ein euphemistischer Ausdruck, wie wir finden – reduziert für Refugees das Hoheitsgebiet Deutschlands auf den "Bezirk der Ausländerbehörde".

In eurer Protest-Gruppe sind keine Refugees. Wieso sollte die Situation für euch ernst sein? Die Residenzpflicht betrifft nur Flüchtlinge, oder ist das falsch?

Das stimmt schon. Wir selbst sind von den Gesetzen der Residenzpflicht nicht betroffen. Wir gehören zur Bevölkerungsgruppe, für die es in punkto Freizügigkeit keine räumlichen Einschränkungen gibt. Nicht so für die Refugees: Sie dürfen sich nur nach Gnaden der Politik und der ihnen zugewiesenen Ausländerbehörde innerhalb Deutschlands bewegen. Ins Ausland, was in Frankreich und überall sonst im EU Raum möglich ist, dürfen sie schon gar nicht. Deutschland steht mit seiner Residenzpflicht innerhalb der EU allein da. Dieser Alleingang in der Rechtsauslegung der Genfer Flüchtlingskonvention ist einzigartig und verurteilenswert.

Warum also fühlt ihr euch also betroffen?

Diese Art von Sondergesetzgebung, in der Machart der Residenzpflichtsgesetze, schadet unserer Demokratie. Diese Gesetze sind Zeugnis einer schlechten Politik. Sie hätten damals vor 20 Jahren im Rahmen der Novellierung des Asylverfahrensgesetzes nicht verfasst werden dürfen. Nicht zuletzt, da sich die deutsche Politik dadurch ihrer Handlungsspielräume beraubt hat, um, wenn organisiertes Unrecht sich anbahnt, sich wehrhaft und schon in den Anfängen diesen Entwicklungen und Bewegungen entgegenzustellen können.
Die Sondergesetze der “Residenzpflicht”, die Unterscheidungen zwischen den Rechtsansprüchen von Bevölkerungsgruppen ziehen, dienen anderen Staaten, wie z.Z. Ungarn als Beispiel dafür, wie internationales Recht durch nationales Sonder-Recht ausgehöhlt und unterlaufen werden kann, ohne sich vor internationalen Gerichtshöfen angreifbar zu machen. Der deutschen Politik sind vielerorts die Hände gebunden, weil sie nicht so einfach kritisieren kann, was sie selbst seit 20 Jahren anzuwenden weiß. Die Ankündigung der Regierung Orban in Ungarn, den Studenten vorschreiben zu wollen, wo sie nach ihrem Studium zu arbeiten haben, sind vom selben Schlag Gesetz wie die “Residenzpflicht” in Deutschland.

Ist die Residenzpflicht nicht in vielen Bundesländern abgeschafft?

Nein, ganz im Gegenteil. Bis auf Bayern und Sachsen haben einzelne Bundesländer den Bewegungsspielraum der Refugees von einzelnen Landkreisen zwar auf das Gebiet ihres jeweiligen Bundeslandes ausgeweitet. Das ist der Spielraum, den die Bundesländer haben: Sie können frei nach Belieben die Bewegungsfreiheit der Refugees auf eine Gemeinde, einen Landkreis oder das Bundesland einschränken, oder halt ausweiten. Die Gesetze der Residenzpflicht, die auf Bundesgesetzebene geregelt sind, tangiert das nicht im Geringsten. Sie sind seit 20 Jahren in Kraft und sollen, geht es nach dem Willen der Bundesregierung, auf den gesamten Schengener Raum ausgedehnt werden.

Wie stellt ihr euch das vor, die Bundespolitik von eurem Ziel zu überzeugen?

Wir wollen in erster Linie die mehrheitliche Bevölkerungsgruppe, die nicht von diesen Gesetzen betroffen ist, darüber aufklären, warum nationale Sondergesetze in der Art der Residenzpflicht alle Menschen, nicht nur die Refugees, betreffen. Wir betreiben zu diesem Zwecke Aufklärung und Vernetzung. Haben wir erstmal einen breiten gesellschaftlichen Dialog um die Gesetze der Residenzpflicht initiiert, wollen im Anschluss daran versuchen, die Parlamentarierinnen des neuzuwählenden 18. Deutschen Bundestags mit unseren Argumenten überzeugen, sich für die ersatzlose Streichung der Residenzpflichtparagraphen einzusetzen. Wir wollen die Politik davon überzeugen, sich in Zukunft davor zu hüten, sich solch eines sondergesetzlichen Instrumentariums zu bedienen. Diese Art von Sondergesetzen stellen im übertragenen Sinne Viren im Rechtstext dar, deren langfristige Konsequenzen nicht absehbar und beherrschbar sind.

Viel Erfolg und danke für das Interview

Die Initiatorinnen der Kampagne sind die Geschwister Ilker, Gülriz und Eray Eğilmez. Sie leben in Berlin und Istanbul, und engagieren sich seit 20 Jahren in Deutschland. Sie möchten mit ihrem permanenten politischen Protest und ihrer Kampagne unter dem Motto, "Die Letzte Meile laufen wir", der Politik nahe tragen, den einst liberalen Wertekanon Nachkriegsdeutschlands sich zurückzuerobern.

Wer der "letzten Meile" auf Facebook folgen möchte, kann dies auf ihrer Fan-Page tun.

Die machtstrategische Allianz Schwarz-Grün kommt – subito!

geschrieben am 16.07.2013

Schlagworte:

Schwarz-Grün, wahlen

Was kommt, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reichen sollte? Prof. Peter Grottian tippt in einem Gastbeitrag für die Lesbar des prager frühling auf Schwarz-Grün: "Es ist die letzte Chance der grünen Führungsriege vor dem Generationenwechsel. Und für Merkel ist es stillschweigend, aber für die CDU/CSU vorausschauend: das schlaueste Modernisierungsprojekt jenseits von SPD- oder FDP-Koalitionen. Und die Republik nimmt – so wird uns infratest-dimap im Dezember 2013 berichten – Schwarz-Grün mit „neugieriger Gelassenheit“ hin. Schon jetzt scheint die Wählerschaft schlauer als die lager-wahlkämpfenden Politiker: Schwarz-Grün ist nach der Großen Koalition die stabilste Zweiervariante. Es ist eine „Koalition wider Willen“ und doch mit machtstrategischem Kalkül."

Den vollständigen Beitrag lesen:
Die machtstrategische Allianz Schwarz-Grün kommt – subito!Melange von Zeitgeist und Modernisierung.

Die machtstrategische Allianz Schwarz-Grün kommt – subito!

Beitrag von Prof. Peter Grottian, geschrieben am 16.07.2013

Schlagworte:

cdu, grüne, wahlen

Es gibt keine Partei außer der Merkel-CDU, die so energisch und mit solchem prinzipienfesten Machtopportunismus auf die Verteidigung ihrer Macht setzt. Es gibt aber auch keine Oppositionspartei – außer den GRÜNEN –, die so nach Regierungs- und Machtbeteiligung lechzt. Der Wahlkampf verkommt zum gähnend-langweiligen Ritual eines eher zumutungsscheuen Wahlvolkes. Ein Hauch gerechter, sozialer, ökologischer, demokratischer sollte es schon sein, ein Hauch – mehr wäre wohl ein Binsenirrtum. Die Bevölkerung empfindet es als Zumutung, von den Wahlen entscheidende Weichenstellungen zu erwarten. Der Lagerwahlkampf ist schon jetzt saftlos am Ende. Merkel macht ́s – mit wem auch immer. Ende des distanzierten Interesses und reichlich ratlos in der Wahlkuppel. Oder kennen Sie einen Stammtisch oder einen Freundeskreis, der sich ernsthaft über die Bundestagswahl streitet? Ohnmächtiger Individualismus pur.

„In schwierigen Zeiten in guten Händen“

Merkels Slogan „In schwierigen Zeiten in guten Händen“ wird den Wahlkampf mit Regierungshandeln erfolgreich dominieren. Die Koalitionsaussage zugunsten der FDP fehlt. Optionen werden vielfältig eröffnet und unter der Hand sprechen Volker Kauder (CDU) und Horst Seehofer (CSU) “Trittin“ nicht mehr so aus, als ob es sich um ein CDU/CSU-Vernichtungsmittel handelt. Wechselseitige persönlich-politische Animositäten sind eine starke Hürde. CDU/CSU beginnen sich aber darauf einzustellen, jenseits der schmallippigen Beteuerungen für eine schwarz-gelbe Koalition auch über eine große Koalition oder über Schwarz-Grün verhandeln zu müssen. Fühler werden vorsichtig ausgestreckt. Die SPD wirkt so, als ob sie vor dem eigentlichen Wahlkampf schon das Handtuch geschmissen hätte und vor einem wundenleckenden

Erneuerungsprozess steht. Wenn nicht ein mittleres Wunder geschieht oder gravierende Fehler macht, erlebt die SPD eine erneute demütigende Wahlniederlage in der Größenordnung von 2009. Die Selbstachtung der SPD in der Wahlniederlage wird sie deshalb von Koalitionsabsichten abhalten. Gabriels jüngste Äußerungen vor der Fraktion weisen auch in diese Richtung. Die SPD wird die Kellner-Rolle nicht nochmals unterbieten wollen. Je mehr Zweifel die SPD verbreitet, desto vehementer wird bald die Schwarz-Grün-Debatte losbrechen.

Die gründliche Blamage der FDP

Die FDP hat sich so gründlich blamiert, dass eine neue koalitionäre Rolle als Lächerlichkeitsnummer wahrgenommen wird. Anders als 2009 werden der größere Teil des FDP-Führungspersonals als politische Laienspielerschar eingeschätzt. Spitzenkandidat Brüderle gesundheitsbedingt auf Krücken, Rösler ohne Entzücken. Und Westerwelle im Sandkasten von Merkels internationalen Baustellen. Es gibt nur noch wenige Gründe, strategisch mit der FDP- Wahlstimme umzugehen (Zweitstimmenkampagne). Merkel würde dem späten Kohl ähneln, wenn sie an diesem ausgelaugten Bündnis festhielte. Es wäre die macht-bequemste, aber für die Gesellschaft langweiligste Koalitionsvariante, sollte die FDP sehr weit über die 5%-Marke kommen, was eher unwahrscheinlich ist.

Machtstrategische Option: Schwarz-Grün

Es spricht deshalb einiges dafür, dass es nach dem Wahlabend (22.9.) eher nicht zu Schwarz-Gelb und erst recht nicht zu Rot-Grün(-Gelb) reicht, und wir innerhalb weniger Tage und Wochen eine machtstrategische Allianz von Schwarz-Grün erleben. Darauf ist das jeweilige Führungspersonal und die Öffentlichkeit bisher noch schlecht vorbereitet.
Die Eintrittsofferten von Merkel für die Grünen könnten „Steuererhöhungen light“ von starken Schultern für Infrastrukturaufgaben, eine Leitrolle der GRÜNEN für die Energiewende und der Rückzug der CDU aus dem Stuttgart 21-Projekt sein. Hinzu käme eine deutsche Aufstockung des EU- Jugendarbeitslosigkeitsprojekts mit unkonventionellen Maßnahmen für Südeuropa um 15 Mrd. ¤ und eine verschärfte Rüstungskontrolle für Diktaturen. Merkel überrascht mit prinzipienfester Wendigkeit. Die Koalitionsverhandlungen laufen hart aber fair, es gibt auf vielen Feldern erstaunliche Kompromisse und diskrete Vertagungen. Die Verhandlungsführerin der GRÜNEN, Katrin Göring-Eckardt, wächst in ihre Vermittlerrolle geschickt hinein. Trittin, für einige in der CDU/CSU eine Hassfigur, bleibt klugerweise und sichtbar widerstrebend im Hintergrund.

Ich höre schon den Aufschrei in beiden politischen Lagern, der die grundsätzlich widerstreitenden Positionen beschwört und auf die fehlenden gemeinsamen Schnittmengen verweist. Gemach! Zunächst fördert die sorgfältige Lektüre des CDU/CSU-Programms die Erkenntnis zutage, dass es sich in Wahrheit um ein 127-seitiges „Leistungsprogramm“ der CDU/CSU zur auslaufenden Legislaturperiode handelt. Vorschläge für ein zukünftiges Regierungsprogramm sind höchst vage, fast immer unter Finanzierungsvorbehalt und in der Regel wenig ausgearbeitet ausgewiesen. Zu zentralen Problemen – Finanzmarktregulierung, Rechtsextremismus, Armut – hat die CDU/CSU nichts zu sagen. Das CDU/CSU-Programm ist – vorsichtig formuliert – eine intellektuelle Zumutung für jeden auch nur einigermaßen urteilsfähigen Bürger. Es ist eher ein peinliches Dokument der elitären Arroganz von oben, die auf die demokratische Mitwirkung ihrer Anhänger bewusst verzichtet! Es ist die komplette Preisgabe innerparteilicher Demokratie. Über ein solches Programm des Ungefähren lässt sich immer verhandeln oder zumindest ausloten, was geht und was nicht geht. Bündnis 90/Die Grünen haben sich dagegen in ihrem 319- seitigen Wahlprogramm ersichtlich mehr Mühe gegeben, die Grundlinien ihrer Politik auszumalen. Anders als CDU/CSU stellen sich die GRÜNEN zumindest der Hartz-IV-Problematik, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Armutsbekämpfung, Asylpolitik, Demokratieerneuerung, Drogenpolitik, Gentechnik, Hungerkrise, Homosexualität, Korruption, ÖPNV, Rüstungsexporten, Transparenz, Verfassungsschutz u. a. m.. Sie machen streitbare Vorschläge, zu denen sich CDU/CSU keinen Kopf gemacht haben. So gesehen spricht alles dafür, in Koalitionsverhandlungen auszuloten, was gehen könnte und was nicht. Koalitionsverhandlungen können auch so geführt werden, dass sie zu einem gesamtgesellschaftlichen Lernprozess avancieren. Erfolgreiches Scheitern gehört auch zur Demokratie. Angst vor einen Schwarz-Grün-Debatte bis nach den Wahlen – geht überhaupt nicht, weil eine schwache FDP und eine selbstverzweifelte SPD eine Debatte vor den Wahlen erzwingen werden.

Aufstand der grünen Parteibasis?

Ja, von wegen Aufstand der grünen Parteibasis, wenn wichtige Ziele erreichbar erscheinen, obwohl die dicken Brocken bei Steuern und Finanzen, Energie, Familie, Bürgerversicherung und Rüstungsexporten nicht zu übersehen sind. Welcher grüne Parteitag wird einem Personaltableau widersprechen, wo Trittin einem erweiterten Infrastrukturministerium oder dem Auswärtigen Amt vorsteht, Claudia Roth mit neuem Zuschnitt ein Migrationsministerium leiten könnte, Katrin Göring-Eckardt für Familienpolitik zuständig ist und der kluge Ex-attac-Aktivist und grüne Europaabgeordnete Sven Giegold als Staatssekretär bei Wolfgang Schäuble platziert werden kann? Und wenn die GRÜNEN noch den FOODWATCH-Aktivisten Thilo Bode zusammen mit Renate Künast für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz vorschlagen, endet der Parteitag eher mit Beifall denn mit einem NEIN. Das ist möglicherweise etwas übertrieben, da die Parteibasis vieles und schnell zu schlucken hätte. Schwarz-Grün als Go-Area, sehr gewöhnungsbedürftig. Es gibt eine zähneknirschend-fröhliche Machtbeteiligung mit Realitätssinn. Es ist die letzte Chance der grünen Führungsriege vor dem Generationenwechsel. Und für Merkel ist es stillschweigend, aber für die CDU/CSU vorausschauend: das schlaueste Modernisierungsprojekt jenseits von SPD- oder FDP-Koalitionen. Und die Republik nimmt – so wird uns infratest-dimap im Dezember 2013 berichten – Schwarz-Grün mit „neugieriger Gelassenheit“ hin. Schon jetzt scheint die Wählerschaft schlauer als die lager-wahlkämpfenden Politiker: Schwarz-Grün ist nach der Großen Koalition die stabilste Zweiervariante. Es ist eine „Koalition wider Willen“ und doch mit machtstrategischem Kalkül. Macht ist wichtiger als inhaltliche, fein austarierte Schnittmengen. Der scheinbare Zauber von angeblicher Macht ist unwiderstehlich – auch für GRÜNE. Das Experiment von Schwarz-Grün ist die Melange des Zeitgeistes, den angeblich noch niemand ernsthaft will, aber angesichts der Realitäten erstaunlich schnell mehrheitsfähig werden kann.

Die Reaktion hat verloren ...

Beitrag von Bodo Niendel, geschrieben am 15.07.2013

Bücher über HIV und Aids gelten als schwermütig und verkaufen sich meist schlecht. Wird mit der HIV-Infektion doch Aids und damit Sterben und Tod verbunden. Auf 230 Seiten Großformat präsentieren die Herausgeber die Arbeiten vergessener und unvergessener Künstler, die sich mit HIV auseinandersetzten. Fotos von Sterbenden und Toten, z.B. von AA Bronson, abstrakte Arbeiten von Keith Hearing und Werbung, wie etwa die berühmte Benetton-Schockwerbung aus den 1990er Jahren, die sich in einem brutalen Realismus auch Aids zuwandte, befinden sich neben Fotos von ACT-UP Protesten gegen die ignorierende und tödliche Politik der Reagan und Bush Administration, Fotos von Helden, wie Liz Taylor, die ihrem Freund, einem der ersten infizierten Prominenten, dem Schauspieler Rock Hudson, beistand sowie vergessene Stars wie Melitta Sundström, Egmont Fassbinder oder Jürgen Baldiga. Nicht Mitleid prägt dieses Buch, sondern Lust und ein kämpferischer Umgang mit der Infektion, schlägt sich in zahlreichen künstlerischen Darstellungen nieder.

Im Fokus stehen schwule Männer in den USA und Deutschland. Denn schwule Männer sind es, die die Infektion in den westlichen Industriestaaten zu förderst betrifft. Schwule Männer die trotz des Virus leben, lieben, Sex haben und kämpfen. Die Bilder über HIV von den 1980ern bis Heute belegen ein Selbstbewusstsein und zeugen von dem wohl größten Erfolg in der Geschichte der Gesundheitspolitik. Schwule Männer kämpften gemeinsam mit Junkies, Prostituierten und vielen Anderen erfolgreich gegen die Isolierung der Betroffenen und setzen weltweit zum ersten Mal durch, dass eine Infektionskrankheit gemeinsam mit den Betroffenen mit Aufklärung statt mit Isolation der Infizierten bekämpft wurde. Zugleich bildete sich eine neue Sexualmoral heraus, gekennzeichnet durch Pluralität und Liberalität. Für diese neue Sexualmoral stehen auch konservative PolitikerInnen wie Rita Süssmuth, die sich auch gegen ihre bayerischen Kollegen, Peter Gauweiler und Horst Seehofer, durchsetzte. Letzterer forderte die, Aidskranken „in speziellen Lagern“ zu sammeln und zu „konzentrieren.“ Die Reaktionären setzten sich nicht durch und es schlug die Stunde des New Public Health: Also mit den Betroffenen gemeinsam eine liberale Gegenstrategie zu entwickeln.

Die gelungene Melange aus Bildband und Buch vermittelt mit umfangreichen Texten in deutscher und englischer Sprache, die Auseinandersetzung um HIV und Aids.

Etwa 35 Millionen Menschen leben weltweit mit der Infektion, davon etwa 80.000 in Deutschland. Seit dem erfolgreichem Einsatz der Kombinationstherapie können HIV-Positive, die rechtzeitig mit den immer noch sehr teuren Medikamenten behandelt werden, sehr lange leben. HIV bedeutet schon lange nicht mehr Tod. HIV/Aids ist in den Industriestaaten zu einer Infektion/Erkrankung unter vielen geworden. Es ist eine chronische Erkrankung. Aids hat sich normalisiert. Weiterhin betrifft es in Westeuropa und Nordamerika zuerst schwule Männer. Dies ist vielleicht ein Manko von „Positive Pictures“. Das Leben und die Kämpfe der HIV-positiven Menschen in den anderen Teilen der Welt werden hier nur am Rande behandelt.

Aber dieser Bildband, dieses Buch drängt sich auf. Es gibt zahllose unzweifelhaft sehr gute Broschüren und Bücher über HIV, aber ihnen gelingt zumeist nicht, was „Positive Pictures“ gelingt. Hier wird ein Flair, ja eine Magie geschaffen – die HIV keineswegs verharmlost – die aber jedem Betroffenen zeigt: Du bist nicht allein. Dieses Buch sei Positiven, Angehörigen und ihre Freundinnen und Freunden empfohlen – doch nicht nur ihnen.

Bodo Niendel ist Referent für queer- und Gleichstellungspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE

„Wir sind linksextrem, weil Y.O.L.O.!“

Beitrag von Felix Schneider, geschrieben am 15.07.2013

Schlagworte:

linksjugend

Hatte den Bart schon, als es noch keine Hipster gab. Der große John Waters.

Felix: Der BAK hipster hat sich auf dem letzten Bundeskongress der Linksjugend ['solid] gegründet. Inhaltlich beschäftigt er sich laut Gründungserklärung mit netzpolitischen Themen, positioniert sich gegen regressive Gentrifizierungs – und Kapitalismusanalysen, steht für einen modernen feministischen wie antifaschistischen Diskurs und für einen konstruktiven Umgang mit neuen Medien & Popkultur. Wie kamt ihr zu diesem inhaltlich bunten Potpourri und was hat das mit „hipster“ zu tun?

Chucky: Als wir zusammenkamen brachten die Leute verschiedenste Themen ein. Ich interessierte mich besonders für Netzpolitik. Wir haben dann versucht, alles in einem Begriff zu fassen und damit mehrere Lücken zu füllen innerhalb der Linksjugend: Themen, die nach unserer Meinung bisher nicht vorhanden waren. Der Name entstand erst ein bisschen als Scherz, ein Platzhaltername, erschien uns dann aber relativ treffend – immerhin sind das alles „moderne“ Themen. Und mit diesem Modernen haben wir eben dieses „hipster“ verbunden, weswegen wir es auch kleingeschrieben haben, als Adjektiv. Dementsprechend wollten wir damit einen modernen politischen Diskurs aufwerfen, da das alles relativ neue Themen sind für die Politik. Netzpolitik gibt es seit 10 Jahren, die Gentrifizierungspolitik wird auch erst seit 10-15 Jahren wirklich diskutiert.

Felix: Netzpolitik und Neue Medien sind Themen, die bisher vor allem bei den Piraten vorzufinden waren, während bei Linken in dieser Hinsicht teilweise immer noch #Neulandstimmung herrscht. Was haben, deiner Ansicht nach, die Piraten bisher richtig gemacht und was falsch, und wie anschlussfähig hältst du diese Themen für Linke?

Chucky: Also ich halte diese Themen für sehr anschlussfähig und wichtig für Linke. Gerade mit dem Internet kann man die Forderung “Bildung für alle und zwar umsonst” viel mehr umsetzen als das vor dem Internet der Fall war. die Piraten haben meines Erachtens das meiste falsch gemacht, weil sie sich von Anfang an in absurden Streitereien verwickelten und es nie wirklich geschafft haben, sich inhaltlich zu schärfen. Stattdessen formulierten sie nur relativ flache inhaltliche Forderungen, die sie zu stärken versprachen ohne das wirklich umzusetzen. Dadurch, dass die Partei neu und offen für alles war und sich geweigert hatte sich ein Profil zu geben, zu sagen „wir sehen uns als linke Partei“, hatte man am Ende Nazis in Ortsvorständen und ähnliche Probleme. Das hat den Umgang mit den Piraten erheblich erschwert.

Felix: In linken Diskursen gewann Gentrifizierung in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung. Ihr richtet euch nun gegen eine regressive Analyse dieses Phänomens, ebenso wie des Kapitalismus‘ im Allgemeinen. Letzteres erinnert stark an den 2007 gegründeten BAK Shalom, welcher sich u.a. auch gegen regressiven Antikapitalismus positioniert. Kannst du mir kurz erklären, was an Gentrifizierungsanalysen regressiv sein kann und was an eurer Kritik regressiver Kapitalismusanalyse anders ist als bisher im BAK Shalom?

Chucky: Was regressiv sein kann an Gentrifizierungsanalysen sind diese Personifizierungen, wie es sie beispielsweise auch in Berlin gibt. Ich und einige weiter Leute im BAK hipster kommen aus Berlin und erleben da wirklich mit, wie sich ein expliziter Hass gegen Schwäb*innen entwickelt und sie allgemein für die Gentrifizierung verantwortlich gemacht werden. Dabei gibt es genauso Leute, die aus Baden-Württemberg kommen und sich kaum ihre eigene Wohnung hier in Berlin leisten können oder in einer Einzimmerwohnung ohne wirkliche Heizung rumhängen. Das hat mit der Herkunft nichts zu tun und deswegen ist Gentrifizierung unser Punkt: weil sich dieser Schwäb*innen- oder auch Hipsterhass da entwickelt hat. Gerade die Kapitalismusanalyse haben wir mit reingenommen um uns nicht einzuengen. Die Grenzen sind da relativ fließend, uns ging es nicht darum, ein Themenfeld vom BAK Shalom zu übernehmen. So war es etwa bei Blockupy der Fall, dass Leute von Demonstrant*innen blöd angepöbelt wurden, weil sie ein scheinbar teures T-Shirt getragen haben. Dieses Themenfeld ist für uns eine Folge der verkürzten Gentrifizierungsanalyse.

Felix: Ihr fordert einen konstruktiven Umgang mit Popkultur. Wie emanzipatorisch kann Buffy oder Sex and the City sein und wie lässt sich Popkultur deiner Meinung nach politisch anschlussfähig machen?

Chucky: Popkultur stand bei uns im Zusammenhang zu neuen Medien. Popkultur kann auf jeden Fall emanzipatorisch sein, gerade die genannten Beispiele oder auch Arya Stark[2] aus Game of Thrones haben definitiv emanzipatorische Züge. Uns ging es dabei vor allem darum, dass sich damit beschäftigt wird und auch mal angeschaut, wann Popkultur gerade NICHT emanzipatorisch ist. Das hat ja schon in der Linken stattgefunden, beispielsweise mit Frei.Wild[3]: Das letztere größere Phänomen, mit dem sich extrem viele Leute beschäftigt haben, welchen Inhalten denn hinter Frei.Wild stecken. In diesem Zusammenhang wollten wir uns auch mit Pop befassen und schauen, was da so passiert, was da konsumiert wird eben auch mit Popkultur als Teil der neuen Medien gesehen. So gibt es mittlerweile das Format „Infotainment“: zum Beispiel Hip-Hopper*innen, die Songs machen mit dem Anspruch, die Leute zu informieren UND zu unterhalten.

Felix: Was plant ihr als BAK hipster für die nächste Zeit, mit was für Projekten wollt ihr auf euch aufmerksam machen?

Chucky: Wir werden in nächster Zeit zu allen Themenbereichen, mit denen wir uns beschäftigen wollen, ein paar Texte veröffentlichen, um unsere Grundpositionen abzustecken. Gerade arbeiten wir an einem Selbstverständnisflyer, der über die Knappe Gründungserklärung hinausgeht und alles genauer beleuchtet und erklärt. Zudem wurde auf dem letzten BuKo ein Antrag von uns beschlossen, in dem der Bundesarbeitskreis hipster damit beauftragt wurde, zusammen mit dem neu gewählten BSpR zwei Seminare zu organisieren, die das Thema Netzpolitik zum Inhalt haben. Einmal ein allgemeines Einführungsseminar in die Netzpolitik und ein explizites FLTI*-Seminar [4] für Netzfeminismus. Da soll es darum gehen, wie sich Frauen im Netz beteiligen können und v.a. sollen und welche Probleme es in der immer noch männerdominierten netzpolitischen Szene gibt.

Felix: Was bedeutet für dich das schöne Leben?

Chucky: Das schöne Leben ist vereinfacht gesagt das Ziel, an dem man politisch erreicht hat, dass niemand mehr unter irgendeiner Form von Unterdrückung leidet und jeder Mensch sich als frei betrachten kann. das ist natürlich eine Utopie, die noch weit entfernt ist und ich gar nicht so genau definieren wollen würde, da sich jede*r prinzipiell etwas anderes darunter vorstellt und sich dafür einsetzt. Da find ich den Begriff ganz gut wenn man den so offen lässt.

Felix: Letzte Frage: Hat der BAK hipster Swag?

Chucky: Ich würde sagen: auf jeden Fall! Spätestens in einem Jahr, wenn wir alle unsere Projekte umgesetzt haben.

Felix: Na dann, YOLO![5]
Den BAK hipster findest du natürlich im Internet auf http://bak-hipster.tumblr.com/ und auf Facebook: https://www.facebook.com/LinksjugendHipster

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1 Figur aus der Fantasyromanreihe/TV-Serie Game of Thrones: ein junges Mädchen, dass sich mehr für das Kämpfen interessiert als für das Leben einer Lady.

2 Rechtspopulistische Deutschrockband aus Südtirol, zuletzt Platz 1 in den deutschen Albumcharts.

3 FrauenLesbenTransIntersex*

4 Abkürzung für „you only live once“

Dr. Dehm kann nicht googeln

Beitrag von Jens West, geschrieben am 03.07.2013

Schlagworte:

linke, musik

Ob Dr. Diether Dehm auch gegen die Aussage „Dr. Diether Dehm ist ein Prozesshansel“ klagen würde? Darüber lässt sich nur spekulieren. Eine andere Aussage jedenfalls dürfte gerichtsfest sein: Dr. Diether Dehm ist im World Wide Web nicht wirklich zu Hause, versinkt aber deswegen nicht in Demut. Im Gegenteil...

Wer sich schon immer wunderte, warum der weltbekannte LINKE-Politiker und MusikManager Dr. Diether Dehm die Duisburger Band „Die Bandbreite“ seit Langem verteidigt, ihr Ordner-Dienste für Auftritte finanziert und Kritiker massiv beschimpft, obwohl nicht nur der „Spiegel“ der von Dehm protegierten „Politpo-Band“ vorwirft, sie sei extrem frauenverachtend und die Rosa-Luxemburg-Stiftung der „Bandbreite“ vorhält, „zumindest bewusst in Kauf“ zu nehmen, „nach rechts hin anschlussfähig zu sein“, während der linke Journalist Marcus Meier in der zwei Mann-Combo schlicht einen „Appetitanreger für Wahn, Rechtspopulismus, Antisemitismus“ sieht, der darf nun Aufklärung erwarten.

Und die Antwort lautet: Dr. Diether Dehm kann nicht googeln! Vom „neuen deutschland“ befragt, was er, Dr. Dehm, davon halte, dass „Die Bandbreite“ jetzt auch noch Parteihymne für die als rechtspopulistisch eingeschätzte Partei „Neue Mitte“ komponiert habe, antwortet der Anti-Deutsche-Bank-Aktivist und Bundestagsabgeordnete Dehm:

Ich kenne weder die „Neue Mitte“, noch deren Parteihymne, noch weiß ich, ob Bandbreite tatsächlich etwas für sie komponiert hat. Im Internet wurde genau das sogar bestritten!

Wo genau in den unendlichen Weiten des Internet „das“ bestritten wird, lässt sich zwar beim besten Willen nicht rekonstruieren. Fakt ist jedoch: Im Internet findet sich auch der Beleg für „das“. Und zwar, indem man bei Google die Suchbegriff „Bandbreite Hymne Neue Mitte“ eingibt. Und dann, unter anderem, das Youtube-Video zur „Hymne“ unter den ersten Suchergebnissen findet, vielleicht sogar anklickt. Gar nicht mal sooooo schwer!

Auch die Band selbst macht keinen Hehl daraus, den Song, „der nun als Parteihymne fungiert“, komponiert zu haben. Denn der Parteivorsitzende sei „unser Freund“, so die Mucker aus dem Ruhrpott. Doch Dehm, eher ein Mann des analogen Zeitalters, verteidigt die „Bandbreite“ erneut wacker gegen „Zensur“ und „Berufsverbot“, und zwar im Namen der „Kunstfreiheit“. Er suggeriert, die „Bandbreite“ sei „antifaschistisch“, was niemand so keck behaupten würde, der je „SVP“ und „Bandbreite“ googelte und so erfuhr, dass die Band ihre
verschwörungstheoretischen Hits auch auf einer Veranstaltung der „Schweizer Volkspartei“ trällerte, bekanntlich eine rechtspopulistische und rassistische Truppe. Und sie distanziert sich durchaus nicht von diesem Auftritt.

Schließlich referiert Diether Dehm, die Band sei „auf zahlreichen linken Veranstaltungen aufgetreten“, was wohl belegen soll, dass sie links ist, während ein halbes Dutzend Auftritte bei Ultrarechten nicht in die Wertung einfließen soll. Immer wieder bei linken Events? Genau das ist das Problem, Genosse Dehm

Stößchen!

Beitrag von sg, geschrieben am 10.06.2013

Schlagworte:

homoehe, queer, Wahlverwandtschaften

Eine Parteifreundin macht noch keinen queeren Frühling.

Wer vergangenen Donnerstag die Tagesschau sah, konnte auch bei ausgeschaltetem Ton erraten, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Ausschluss von eingetragenen Partnerschaften vom Ehegattensplitting ausgefallen war. Das sauber ausbetonierte Gesicht von Erika Steinbach verriet es. Wenn Steinbach so schaut, gibt es fast immer etwas zu feiern. prager frühling hat trotzdem etwas Wasser in den Sekt gegossen und sich mit Christian Schenk über Homo-Ehe und Wahlverwandtschaften unterhalten. Die zentrale Frage: Wie muss ein queeres Beziehungsrecht gestaltet sein, damit der Preis rechtlicher Anerkennung von queeren Lebensweisen nicht die Festlegung auf ein heteronormatives, eheähnliches Konstrukt ist.

Kein Sekt vor der Ehe? Queers feiern anlassunabhängig.

Das Interview findet ihr hier. In diesem Sinne: Stößchen!

queeres beziehungsrecht fragt nicht nach geschlecht

Beitrag von Caren Lay, geschrieben am 10.06.2013

prager frühling: Als damalige lesben- und schwulenpolitische Sprecherin der PDS im Bundestag hast du gegen die Einführung der sogenannten „Homo-Ehe“ von Rot-Grün gestimmt. Würdest du, rückblickend, noch einmal so entscheiden?

Christian Schenk: Absolut! Dafür gab es drei zentrale Gründe. Die Eingetragene Lebenspartnerschaft brachte damals lediglich mehr Pflichten, aber kaum einen Zuwachs an Rechten. Und finanzielle Vergünstigen schon gar nicht. Wenn schon ein Rechtsinstitut für eheähnlich lebende lesbische und schwule Paare, dann bitte auch mit gleichen Rechten und Pflichten wie für heterosexuelle Paare. Allerdings sind identitätspolitische Ansätze, die zu Sondergesetzen für bestimmte Gruppen führen, immer problematisch, weil sie von außen her festlegen, wer profitieren darf und wer nicht. Dabei wird nicht berücksichtigt, wer unabhängig von der zugeschriebenen Identität die Regelungen braucht. Der für mich wichtigste Grund war jedoch, dass mit Ehe und Eingetragener Lebensgemeinschaft weiterhin alle Verantwortungsgemeinschaften ausgegrenzt und rechtlos bleiben, an denen mehr als zwei Menschen beteiligt sind, sowie auch diejenigen, die ihre Beziehung von vornherein nicht als Sexualgemeinschaft gestalten. Einer Fortsetzung dieser Ausgrenzung konnte ich unmöglich zustimmen.

pf: Inzwischen verlangt das Bundesverfassungsgericht die Gleichstellung der Homo-Ehe bei der Adoption. Selbst auf dem CDU-Parteitag wird darüber diskutiert, das Ehegattensplitting auch der „Homo-Ehe“ zukommen zu lassen. War die Homo-Ehe nicht ein gesellschaftlich erfolgreiches Projekt?

Schenk: Wenn man in der Logik der Privilegierung von Zweierbeziehungen bleibt, dann durchaus. Das aber ist genau das Problem. Es ist längst an der Zeit für erste Schritte hin zur rechtlichen Anerkennung der real-existierenden Vielfalt an Verantwortungsgemeinschaften.

pf: Du hattest Dich während Deiner Zeit im Bundestag für das Konzept „Wahlverwandschaften“ ausgesprochen. Was bedeutet das?

Schenk: Wahlverwandtschaft bedeutet, dass jeder Mensch selbst darüber entscheiden kann, wer zu seinen Liebsten und Nächsten zählt, unabhängig von biologischen Verwandtschaftsbeziehungen. Natürlich setzt das ein Einverständnis von beiden Seiten voraus. Wer wem gegenüber Rechte und Pflichten hat, wird unter den Wahlverwandten verbindlich verabredet. Es gäbe nicht mehr nur die Paketlösung Ehe und Eingetragene Lebensgemeinschaft, sondern ein bedürfnisgerecht gestaltbares Geflecht von Rechten und Pflichten. Überkommene Privilegien, die nicht mehr legitimierbar sind, wie etwa das Ehegattensplitting, sollten selbstverständlich abgeschafft werden.

pf: Wer wären BündnispartnerInnen für eine solche Idee?

Schenk: Alle, die Partnerschaftsmodelle jenseits von Paarbeziehungen leben, Paare, die mit den Grenzen der derzeitigen Modelle unzufrieden sind. Aber auch jene, die mit denen, die neue Wege gehen, solidarisch sind. Bislang gibt es jedoch keinen Kristallisationspunkt für einen solchen Ansatz. Die „kritische Masse“ für solche Forderungen ist offenbar noch nicht erreicht. Leider ist in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung eher ein Revival konservativer Lebensmodelle zu beobachten.

pf: Ist mit dem Hype um die Homo-Ehe das Ende der queerpolitischen Fahnenstange erreicht oder welche queeren Forderungen und Themen gehören nach Deiner Meinung jetzt auf die Tagesordnung?

Schenk: Queeres Beziehungsrecht würde nicht nach Geschlecht und Identität der Beteiligten fragen. Identitätszuschreibungen spielten keine Rolle und folglich gäbe es auch keine Unterscheidungen zwischen hetero-, homo-, bi- oder asexuellen Orientierungen. Paarbeziehungen würden nicht höher bewertet als alle übrigen Verantwortungsgemeinschaften. Das Wahlverwandtschaftskonzept ist offen für alle Beziehungsformen - queere und nicht-queere. Die freie Wahl von Vornamen und Geschlechtszugehörigkeit, die besonders für Trans*- und Inter*-Menschen wichtig ist, wäre eine weitere Baustelle für queere Politik.

pf: Du selbst bist ja trotz der Kritik am Lebenspartnerschaftsgesetz eine Lebenspartnerschaft eingegangen und hast später versucht, sie in eine Ehe umzuwandeln. Warum?

Schenk: Als Privatperson bewege ich mich im Rahmen geltender Gesetze, das schließt auch ein, legale finanzielle Vorteile in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich diese Gesetze gut finde, das Ehegattensplitting ebenso wenig wie beispielsweise die Eigenheimförderung. Der andere Grund für die Verpartnerung waren Rechte, zu denen man ohne Ehe oder Eingetragene Lebenspartnerschaft nicht oder nur schwer Zugang bekommt wie z.B. Auskunftsansprüche im Krankenhaus. Die Eheschließung war meiner Lebensgefährtin und mir auch deshalb wichtig, weil eine Lebenspartnerschaft bei einem offensichtlich heterosexuellen Paar immer erklärungsbedürftig geblieben wäre. Wann und wem gegenüber ich von meiner transsexuellen Vorgeschichte erzähle, möchte ich jedoch selbst entscheiden können. Das Recht auf Eheschließung mussten wir allerdings erst vor Gericht durchsetzen, weil die Behörden verlangten, dass wir die Lebenspartnerschaft zuvor auflösen. Das aber geht laut Gesetz nur bei Zerrüttung der Beziehung. Davon konnte nun aber bei uns so gar keine Rede sein und außerdem wäre es doch absurd gewesen, wenn wir uns erst wegen Zerrüttung der Beziehung entpartnern und am nächsten Tag die Ehe schließen. Das Gericht hat uns schließlich recht gegeben.

Schönes neues Grenzregime

geschrieben am 28.05.2013

Schlagworte:

abschottung, flüchtlinge, frontex

Bereits in der vergangene Woche haben wir uns mit Frontex und dem European Day for Border Guards beschäftigt. (Vgl. and the winner is … ) Heute folgt in der Lesbar ein kurzer Bericht über die Veranstaltung, die neue Rolle von NGOs im Kontext von „Border-Management“ und die Zukunftsphantasien europäischer Grenzpolizisten. Zum Artikel geht’s hier entlang.

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